1964
14. Internationale Filmfestspiele Berlin
26. Juni – 07. Juli 1964
„Es ist Mitternacht, Dr. Bauer!“ – Der Filmkritiker Enno Patals in der Zeitschrift „Filmkritik“
Die Talsohle ist erreicht
Das Jahr 1964 brachte einen Tiefpunkt und gleichzeitig den ersten Schritt zu einer Neuausrichtung der Berlinale. Kaum ein Film vermochte Publikum und Kritik zu überzeugen und der goldene Bär an den folkloristischen Film Susus Yaz aus der Türkei wurde allgemein als „Armutszeugnis“ gewertet. In seinem kritischen Festivalresummee bezeichnet der Filmkritiker Ulrich Gregor die Preisentscheidung sogar als eine „Verhöhnung des Publikums und der Presse“.
Schon im Vorfeld des Festivals war es zu einer Reihe von Kompetenzstreitigkeiten und politischen Verstimmungen gekommen. Nach den Debakeln der Vorjahre war die Stimmung angespannt. Man wollte keinen Fehler machen. Auf Drängen der Kirchen hatte Alfred Bauer den sehr drastischen schwedischen Spielfilm 491 abgelehnt. Die Entscheidung führte zu weit reichender Verärgerung und auch Bauers Einladung an Wolfgang Staudtes Film Herrenpartie, vorbei am Votum des paritätischen Auswahlgremiums, wurde als unglücklicher Coup empfunden.
Alfred Bauer zeigt Beweglichkeit
Alfred Bauer war offenbar bemüht, zwischen der Kritik, die von allen Seiten kam, einen Mittelweg zu finden. „In der allergrößten Not, bringt der Mittelweg den Tod“, möchte man da aber frei nach Alexander Kluge zitieren, der ja auch wenig später zu einem artikulierten Kritiker des Festivals werden sollte. Ganz so arg wurde es für Bauer dann allerdings doch nicht. Er zeigte sich der Kritik, die auch an seiner Person geübt wurde, zugänglicher, als es viele für möglich gehalten hatte. Durch einen „10-Punkte-Plan“ zur Umstrukturierung des Festivals brachte er die Debatte voran und sich selbst aus der Schusslinie.
Bauers Maßnahmenkatalog enthielt unter anderem den Vorschlag, die junge Kritikergeneration an der Programmauswahl zu beteiligen und die „Woche der Kritik“ offiziell beizubehalten. Darüber hinaus wünschte sich Bauer eine Änderung der Richtlinien, die es ihm erlauben würde, auch Filme einzuladen, die bereits anderswo gelaufen waren. Auf größere Freiheiten bei der Filmauswahl zielte auch der Vorschlag, der Berlinale einen autonomen Status zu geben, denn dann hätte man auch Filme aus den sozialistischen Staaten einladen können, ohne gleich diplomatische Überwerfungen fürchten zu müssen.
Die „Berlin-Frage“
Der letzte Vorschlag reagierte auf eine Standortdebatte, die bereits im Vorfeld des Festivals einmal mehr den schwierigen Status Berlins problematisiert hatte. Vor allem aus München kam die Anregung, den Festivalort Berlin zu überdenken und die „Berlinale“ turnusmäßig auch in anderen Städten abzuhalten. Dabei wurde auf den sensiblen diplomatischen Status Berlins verwiesen, der die Programmarbeit des Festivals mit politischen Zwängen belastete. Damit war ein Nerv des Berliner Selbstverständnisses getroffen. Die Reaktionen waren entsprechend heftig und bisweilen polemisch. Dennoch wurde in der Nachbereitung des Festivals weiter darüber diskutiert, wie sich der künstlerische Stellenwert der Berlinale vom politischen Status Berlins emanzipieren könnte. Alfred Bauer und Kultursenator Werner Stein favorisierten eine Umwandlung der Filmfestspiele in eine GmbH, scheiterten mit diesem Anliegen jedoch zunächst am Widerstand der Bundesregierung. Der Bund blieb Mitveranstalter. Der Kalte Krieg würde noch eine Weile das Festivalwetter bestimmen.