2004
54. Internationale Filmfestspiele Berlin
05. – 15. Februar 2004
„Wenn etwas fehlte, dann war es vielleicht die elektrisierende Aufregung über die ein oder zwei ganz heißen Titel. Bei dem irren Tempo der meisten Festivals heutzutage findet sich kaum noch die Gelegenheit zu einer entspannten Konversation, wo dann heiße Tipps die Runde machen können und heimliche Gewinner erkoren werden. Vielleicht liegt es am Zeitgeist, vielleicht am 11. September oder daran, dass die Bagels immer teurer werden. Die diesjährige Berlinale trifft jedenfalls keine Schuld.“ – Derek Elley in seinem Berlinale-Fazit für „Variety“.
Familienaufstellung für den deutschen Film
Der große Hammer kam zum Schluss: Der Goldene Bär an Fatih Akins raue Romanze Gegen die Wand überraschte fast alle Beobachter des Festivals. Die Entscheidung brachte der Internationalen Jury unter dem Vorsitz von Frances Mc Dormand Komplimente ein und sorgte noch Wochen später für ausgiebigen Gesprächsstoff. Internationale Kommentatoren stellten eher unaufgeregt fest, dass Gegen die Wand der richtige Film zur richtigen Zeit und daher ein würdiger Sieger sei, und verbuchten den Goldenen Bären als ein weiteres Zeichen für eine neue Blüte im deutschen Film.
In den einheimischen Feuilletons hielt das Blätterrauschen dagegen noch etwas länger an. Sportsgeister, die jegliche Auszeichnungen gerne wie Goldmedaillen feiern und jeden Film einem Land zuordnen wollen, hatten an Gegen die Wand noch eine Weile zu knabbern. „Wir sind also wieder wer – nur stellt sich die Frage wer eigentlich ‚wer’ ist“, resümiert Hanns-Georg Rodek in der „Welt“ und arbeitet sich dann an der nachträglichen Integration des Deutsch-Türken Fatih Akin ab. Und er war nicht der einzige, den an Akins Film – mit verschiedenen Motivationen – vor allem die Frage interessierte, ob und inwieweit man nun das Wörtchen „deutsch“ neu definieren müsse, in „deutscher Film“ und anderswo.
Klärend las sich da der Kommentar von Katja Nicodemus in der „Zeit“, die daran erinnerte, dass Gegen die Wand ja „nicht den Beginn, sondern den Fortgang einer Filmbewegung markiert“, die spätestens seit Mitte der Neunziger Jahre fester Bestandteil des deutschen Filmschaffens ist. Noch entspannter sah es Barbara Schweizerhof im „Freitag“. Das Schönste an Akins Film sei, „dass er eben kein Thema – und schon gar nicht das der Einwanderer nach Europa – behandelt, sondern eine Geschichte erzählt.“ So hatte es Gegen die Wand geschafft, eine Debatte über Identität und Zugehörigkeit zu entfachen, in der zwar schmerzliche und unzeitgemäße Töne mitschwangen, die aber dennoch offenbar notwendig war.
Souveräne Organisation bis in die After hours
Von außen wurde die Berlinale 2004 als ein solider Jahrgang verbucht. Die Professionalität und Souveränität im öffentlichen Auftritt des Festivals wurde gelobt, wenn auch dem einen oder der anderen das Rauschhafte manch früherer Jahre fehlte, das sich mehr und mehr in die kleineren Kreise der Lounges und After Hour Partys verlagert hat.
Das unerwartete Fernbleiben von Nicole Kidman und Jude Law zur Eröffnungspremiere ihres Films Cold Mountain bot jedoch allenfalls Gesprächsstoff für einen Tag - danach ging es um die Filme, um die überzeugenden Auftritte der jungen Filmemacher wie Richard Linklater, Kim Ki-Duk, Fatih Akin, Daniel Burman und Cédric Kahn und um die kontrovers aufgenommenen Beiträge der Routiniers wie Theo Angelopoulos, Eric Rohmer und Ken Loach, dessen Film Ae Fond Kiss viele einen Bären gewünscht hätten.
Diskutiert wurden das „Kino der Gefühle“, der viel versprechende Auftritt deutscher FilmemacherInnen und das starke Debüt von 14plus, einer Filmauswahl innerhalb des Kinderfilmfests, die sich gezielt an Jugendliche und Heranwachsende richtete. Thomas Hailer hatte im Herbst die Leitung des Kinderfilmfestes übernommen und setzte nun um, was schon zuvor diskutiert worden war, ein noch stärkeres Eingehen auf die spezifische Altersstruktur des Kinderfilmfest-Publikums.
Aufmerken ließ auch der starke Auftritt von Frauen auf dieser Berlinale: nicht nur vor und hinter der Kamera, sondern auch auf den Bühnen und Podien und in den Jurys. Stellvertretend stand eine für alle: Mit ihrem unprätentiösen Auftritt und ihrer klugen Präsenz in Interviews, Diskussionen und im Berlinale Talent Campus war die Jury-Vorsitzende Frances MacDormand eine der großen Sympathieträgerinnen des Festivals.
Der Blick geht nach vorne
Erfreut war man bei der Berlinale darüber, dass sich die vielfältigen neuen Initiativen bewährt hatten: der Berlinale Co-Production Market, der internationale Koproduktionen mit effektiver Vernetzungsarbeit fördert, der Berlinale Talent Campus, nach den Worten von Campus-Pate Anthony Minghella „eine der spannendsten Initiativen für die Zukunft der Berlinale“, und nicht zuletzt der erste groß angelegte Schritt ins digitale Zeitalter: Unter dem Motto „Berlinale goes digital“ waren erstmals mehrere Kinosäle mit modernster digitaler Projektionstechnik ausgestattet. In Forum und Panorama konnten damit insgesamt über 30 digital produzierte Filme in ihrem Originalformat projiziert werden - in einer optischen Qualität, die selbst die Skeptiker begeisterte. Die Berlinale 2004 war ein Festival, das nach vorne schaute. In vielerlei Hinsicht vielleicht ein Festival des Übergangs, aber das wird man erst wissen, wenn die Zukunft, um die es ging, zur Gegenwart geworden ist.
Die Berlinale 2004 in Zahlen
Besucher | |
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Kinobesuche | 392.000 |
Fachbesucher | |
Akkreditierte Fachbesucher einschl. Presse | 16.146 |
Anzahl Herkunftsländer | 106 |
Screenings | |
Anzahl Filme im öffentlichen Programm | 365 |
Anzahl Vorführungen | 1.087 |
Presse | |
Pressevertreter | 3.696 |
National | 1.899 |
International | 1.797 |
Anzahl Herkunftsländer | 82 |
European Film Market | |
Fachbesucher | 3.500 |
Anzahl Filme | 412 |
Anzahl Screenings | 655 |
Stände auf dem EFM | |
Anzahl Unternehmen | 120 |
Anzahl vertretener Länder | 35 |
Berlinale Talent Campus | |
Teilnehmer | 520 |
Anzahl Herkunftsländer | 84 |
Berlinale Co-Production Market | |
Teilnehmer | 285 |
Anzahl Herkunftsländer | 37 |