1983

33. Internationale Filmfestspiele Berlin

18. Februar – 01. März 1983

Martin Sheen und ich freuten uns beide über das Publikum bei der Aufführung von In the King of Prussia. Es war zynisch, hart und witzig, die Fragen waren lebendig. Keine Schmeichelein und kein leeres Gerede. Ernsthaftigkeit und kritische Positionen. Auf meinem Weg zum Festival ging ich gern in den Zoo. Städte, wo rund um die Uhr gelebt wird, sind wie für mich geschaffen. Schlaf ist nichts für Festivals.“ – Emile de Antonio bricht eine Lanze für Berlin und das Berlinale-Publikum.

Das Plakat der 33. Berlinale

Die Berlinale brummt, die Info-Schau gewinnt an Bedeutung

Schon in den Vorjahren waren die Zuschauer- und Fachbesucherzahlen der Berlinale stetig gestiegen. 1983 brummte das Festival: über 4.500 Akkreditierte, Schlangen an den Kinokassen, eine ausgebuchte Filmmesse. Das Programm umfasste 394 Filme aus 43 Ländern. 110.000 Besucher besuchten die Vorstellungen im Wettbewerb, in der Info-Schau, dem Kinderfilmfest und der Retrospektive – und auch das Forum hatte mit über 63.000 Besuchern ein Rekordjahr.

Den größten Zuwachs verzeichnete die Info-Schau, die nicht nur zahlenmäßig an Bedeutung gewann, sondern mit Filmen wie Mika Kaurismäkis Arvottomat | Die Wehrlosen, Chantal Ackermans Toute Une Nuit | Eine Ganze Nacht, Arthur J. Bresans Abuse | Missbrauch, Jean-Jacques Beineix’ Diva und Im Kwon Taeks Oyumdaen Jasicdul | Die Verdorbenen auch einige der interessantesten Festivalfilme im Programm hatte. Mit Programmschwerpunkten wie einer „Französischen Woche“ und einer Reihe „Neues Brasilianisches Kino“ wurde die Info-Schau auch zunehmend als Konkurrenz zum Forum wahrgenommen. Peter Greenaways The Draughtsman’s Contract war dort der Publikumsrenner. Michael Snows So is this, der „New Wave“-Film Vortex von Scott und Beth B. oder Haile Gerimas Ashes to Embers standen für das anhaltende Interesse des Forums an den Facetten und Randerscheinungen des US-amerikanischen Kinos.

Sydney Pollack

Moritz de Hadelns starke Handschrift im Wettbewerb

Auffallend war in diesem Jahr jedoch auch die Vielfalt und Qualität der Filme im Wettbewerb, der nach einer Änderung der FIAPF-Richtlinien wieder etwas umfangreicher geworden war. Das große Unterhaltungskino war mit Sydney Pollacks Tootsie denkbar gut repräsentiert. Daneben gab es politisch Brisantes wie Emile de Antonios In the King of Prussia über eine Gruppe militanter amerikanischer Atomkraftgegner, Chris.Markers Filmessay Sans Soleil, das wunderbar leichte Erzählkino Eric Rohmers (Pauline à la Plage) und den aufwühlenden Dokumentarfilm Koyaanisqatsi, der zu einem Kultfilm des intellektuellen Kinos werden sollte. Im Wettbewerb 1983 war die klare Handschrift Moritz de Hadelns erkennbar, dessen Festivalpolitik darauf zielte, Kunst, Kommerz und Wagnis auf einem hohen Niveau miteinander zu verbinden. Mit einem Schmunzeln erinnerte sich Emile de Antonio später an Berlin als eine "ironische und fruchtbare" Stadt und die Berlinale als ein Festival, auf dem er auch mit amerikanischen Landsleuten gesprochen habe, "denen ich sonst aus dem Weg gehe."

Auch Filme aus der UdSSR, aus Ungarn und der CSSR waren präsent. Ein unschönes Geplänkel hatte es lediglich um Frank Beyers Der Aufenthalt gegeben, den die DDR bereits angemeldet hatte, dann jedoch zunächst ohne Begründung zurückzog. Hinter den Kulissen hatte es eine Intervention Polens gegeben. Man warf dem Film vor, er schüre anti-polnische Ressentiments. Die Gehorsamkeit der DDR-Offiziellen wurde allgemein bedauert. Die Intervention Warschaus könne man „nur hysterisch und die Botmäßigkeit der DDR servil nennen“, urteilte Michael Schwarze in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und hätte Beyers Film sogar einen Goldenen Bären zugetraut.

Die beiden Gewinner des Goldenen Bären: Mario Camus (La Colmena) und Edward Bennett (Ascendancy)

Gaby Sikorski setzt Wegmarken im Kinderfilmfest

Im Kinderfilmfest war bereits im Vorjahr erstmals eine Jury eingesetzt worden, um unter den Filmen des Programms Preise und Auszeichnungen zu vergeben. UNICEF hatte dafür die Schirmherrschaft übernommen und vom Kinderfilmfest bei dieser Gelegenheit eine stärkere qualitative Vorauswahl und eine breitere Sichtung gefordert. Erstmals kam auch die Anregung, in Zukunft auch Jugendfilme zu zeigen.

Zunächst reagierte die Leiterin des Kinderfilmfestes, Gaby Sikorski, damit, die Anzahl der gesichteten Filme deutlich zu erhöhen und auch Kurzfilme in das Programm aufzunehmen. Wohin sich das Kinderfilmfest qualitativ entwickeln würde, davon zeugte etwa der UNICEF-Preisträgerfilm Lukaš des Tschechen Otakar Kosek, der die Geschichte eines Außenseiters erzählte, dabei häusliche Gewalt und Alkoholismus thematisierte und „so gar nicht dem ähnelte, was man landläufig viele Jahre lang unter einem typischen Kinderfilm verstand“, wie Margarete von Schwarzkopf in der „Neuen Ruhr-Zeitung“ schrieb.

De Hadeln weiterhin im Gegenwind

Festivalinterne Konflikte gab es diesmal erst im Anschluss an die Berlinale. Es schien unklar, wer im nächsten Jahr der Festivalleiter sein würde. Moritz de Hadelns und Ulrich Gregors Verträge liefen aus und mussten verlängert werden. Ulrich Gregors Position als Forum-Chef und Co-Direktor des Festivals war unumstritten, aber Moritz de Hadelns Ruf war durch die wiederholten Auseinandersetzungen der Vorjahre angeschlagen. In Bonn hatte es zudem einen Regierungswechsel zugunsten der CDU gegeben und wegen der Vorführung von Herbert Achternbuschs Das Gespenst im zurückliegenden Wettbewerb hatte sich de Hadeln dort bereits Feinde geschaffen. Innenminister Dr. Friedrich Zimmermann hatte persönlich gegen den Film opponiert und damit einen Vorgeschmack auf die filmpolitische Wende gegeben, die unter seiner Ägide eingeleitet werden sollte.

Obwohl de Hadelns Seriosität nicht in Zweifel gezogen werden konnte, ließen ihn die wiederholten politischen Scharmützel als glücklos erscheinen. Schon wurde um de Hadelns Nachfolge spekuliert. Entschiedene Solidaritätserklärungen des Verbandes europäischer Filmregisseure und auch der AG Neuer Deutscher Spielfilmproduzenten – also von Seiten seiner früheren Kritiker – setzten dem jedoch ein Ende. Im Juni wurden die Verträge von Ulrich Gregor und Moritz de Hadeln um drei Jahre verlängert.