2007 | Sonderveranstaltungen
Magnum in Motion – Filme von Fotografinnen und Fotografen
Die Reportagen, die im Auftrag der Fotoagentur Magnum entstehen, und die eigenständigen Projekte von Magnum Fotografen prägen das Bild der Welt und unser kollektives Gedächtnis. Den Magnum-Gründern Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, George Rodger und David "Chim" Seymour ging es darum, einen unkompromittierten Blick auf die Ereignisse in der Welt zu werfen und ihre Kunst- und Reportagefotografie unabhängig produzieren und auch veröffentlichen zu können.
"Eine Gemeinschaft der Denkweisen"
Henri Cartier Bresson beschrieb einmal den 'Magnum Spirit': "Magnum ist eine Gemeinschaft der Denkweisen, eine menschliche Qualität, die man teilt, Neugier auf die Welt, Respekt gegenüber dem, was man vorfindet und der Wunsch, es visuell umzusetzen." Während Magnum-Fotografinnen und -Fotografen zu den berühmtesten ihres Metiers gehören, ist die Tatsache eher unbekannt, dass viele von ihnen auch mit der Filmkamera gearbeitet haben. Die Berlinale nimmt das 60. Jubiläum von Magnum zum Anlass, diese Wissenslücke mit der Filmreihe "Magnum in Motion" zu schließen.
In Zusammenarbeit mit Magnum Photos wurden über 30 Filme von und über Magnum-Fotografen ausgewählt. Die Werkschau wird in dieser Form erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt und anschließend auf weiteren Filmfestivals präsentiert. Der früheste Film der Reihe ist von 1938, der jüngste wird pünktlich zur Berlinale fertig und als Weltpremiere präsentiert. Kuratiert wurde die Reihe von Alrun Steinrück. Als Gäste werden die Fotografen und Filmemacher René Burri, Raymond Depardon, Elliott Erwitt, Martine Franck, Jean Gaumy, Bruce Gilden, Philip Jones Griffiths, Thomas Hoepker, David Hurn, Susan Meiselas, Chris Steele-Perkins, Dennis Stock und Donovan Wylie sowie Stuart Franklin, der Präsident von Magnum Photos, erwartet. Eine Ausstellung mit Magnum-Fotografien über Berlin in der Galerie Camera Work ergänzt das Sonderprogramm.
Ein Gespräch über die außergewöhnliche Werkschau mit der Kuratorin Alrun Steinrück, Dominique Green, der Direktorin von Magnum/London, und dem Publizisten und Fotografen Gerry Badger, dem Redakteur der anlässlich der Reihe erscheinenden Publikation.
Wie viele Magnum-Fotografen haben im Laufe ihrer Karriere zur Filmkamera gegriffen? Haben auch einige von ihnen komplett das Metier gewechselt?
Mehr als ein Drittel haben auch mit dem Medium Film gearbeitet, aber keiner ist endgültig zum Filmemachen übergegangen. Von Raymond Depardon lässt sich jedoch mit einigem Recht behaupten, dass er in beiden Metiers gleichermaßen zuhause war, während Cartier-Bresson, Jean Gaumy, Susan Meiselas, René Burri, Donovan Wylie (um nur einige zu nennen) Film und Fotografie sicher als zwei Aspekte der gleichen Arbeit betrachtet haben. Es ist schon spannend, sich zu fragen, ob etwa Robert Capa möglicherweise ganz zum Film gewechselt wäre, wenn er länger gelebt hätte. Die Berlinale-Werkschau gibt dem Publikum aber auch die einmalige Gelegenheit, solche Fragen den Fotografinnen und Fotografen selbst zu stellen, denn viele von ihnen, werden nach den Filmen zu Publikumsgesprächen anwesend sein.
Grenzgänger, Wilderer, Pioniere
Mit welchen Intentionen haben sich diese Fotografen dem Film zugewandt? Waren dies eher persönliche Gründe, oder lässt sich da ein kollektiver Zug feststellen?
Die meisten haben sich aus persönlichen Gründen für diesen Schritt entschieden, vor allem als einer Erweiterung ihrer Fotografie. Es gab jedoch schon seit den Anfängen der Agentur eine Sympathie und Neigung zum Film, dem Filmischen. Namentlich zwei der Gründer, Robert Capa und Henri Cartier-Bresson, hatten viel mit Film zu tun. Von Cartier-Bresson lässt sich sagen, dass seine Wurzeln ebenso sehr im Film wie in der Fotografie lagen. Er hatte als Regieassistent an drei der bekanntesten Filme von Jean Renoir mitgewirkt. Einige Filme in diesem Programm sind Weiterführungen von fotografischen Arbeiten, die thematisch ähnlich gelagert waren – Susan Meiselas Arbeit in Nicaragua, Alex Webb's Arbeit an der Grenze zwischen den USA und Mexiko, Jean Gaumy's wesentliches Oeuvre über die Meere.
Fotografen, die filmen – unter einer solchen Überschrift ist man geneigt, vor allem formalen Experimente und visuell aufregende Arbeiten zu erwarten. Aber hatte der Wechsel des Mediums – und damit der Arbeitsbedingungen – nicht auch ein verändertes Verhältnis zum Sujet zur Folge?
Die beiden Medien Fotografie und Film beeinflussen sich natürlich. Die Filmemacher wählen die Themen, für die sie sich oft auch als Fotografen interessiert haben. Bei Bruce Davidsons Kurzfilm Jab Jab zum Beispiel steht der Bildaufbau im Vordergrund und das narrative Element tritt zurück. Der Witz in Elliott Erwitts Fotos findet sich in seinen Filmen wieder. Ein großer Glücksfall.
Die Stimme eines Bildes
Einige der Künstler haben sicher mit einem stärker formalen Interesse zur Filmkamera gegriffen, um mit den Stilen zu experimentieren, die sie in ihrer fotografischen Arbeit entwickelt haben. Bei anderen erkennt man wiederum eine deutliche Tendenz zu einer stärkeren Politisierung, die mit dem neuen Arbeiten einherging. Das erklärt sich zum Teil dadurch, dass der Film ihnen größere narrative Möglichkeiten in die Hand gab. Film ist weit weniger vage als Fotografie. Die "Stimme" in einer Fotografie ist immer die des Fotografen, beim Filmen dagegen kann der Dokumentarist seinen Protagonisten eine eigene Stimme geben. Einige der eindrücklichsten Momente bei "Magnum in Motion" entstehen dann, wenn ein Individuum vor die Kamera tritt und seine Gefühle zum Ausdruck bringt. Die formalen Qualitäten des Films treten dann in den Hintergrund. Menschen eine Stimme zu geben bedeutet wiederum in vielen Filmen automatisch eine stärkere politische Positionierung.
Sind die Filme von Magnum-Fotografen hauptsächlich Dokumentationen?
In der Tat sind die Filme dem Genre Dokumentation zuzuordnen, aber das ist ein weites Feld und die Filme zeigen auch, welche Bandbreite an Möglichkeiten damit verbunden ist. Eve Arnold war bei den Hochzeitsvorbereitungen in einem Harem Dubais dabei, während Thomas Hoepker dem brutalen Morden an den Mayas in Guatemala auf der Spur ist. Das Portrait des jungen Filmemachers Gideon Gold widmet sich dem Fotografen Bruce Gilden, der auf New Yorks Strassen Menschen mit der Kamera ins Gesicht blitzt. Die urkomischen und unverblümten Kommentare von Gilden zeigen beispielhaft, welch leidenschaftliche Männer und Frauen hier am Werk sind.
Unter welchen Bedingungen wurden diese Filme produziert? Wurden sie vertrieben und kommerziell ausgewertet?
Fast alle Filme in der Sonderreihe wurden entweder von unabhängigen Firmen produziert, finanziert und vertrieben, oder waren Auftragsarbeiten für einen Fernsehsender. Die einzige denkwürdige Ausnahme ist The Two Faces of China, der zwischen 1964 und 1969 von Magnum Films Inc. produziert wurde, einem Schwesterunternehmen der Magnum-Agentur, das von Philip Gittelman und den Magnum-Fotografen gegründet wurde. Eine seiner Aufgaben war, die Möglichkeiten zu erkunden, Fotografie in Kombination mit Film und Ton zu präsentieren. Die Mehrheit der Filme, die im "Magnum in Motion"-Programm gezeigt werden, wurde schon einmal separat im Fernsehen oder im Kino gezeigt - in ihrem Ursprungsland oder auch darüber hinaus. Es ist aber das erste Mal, dass sie als ein zusammenhängendes Werk gezeigt werden.
Welchen Zeitraum decken die Filme ab? Sind auch zeitgenössische Arbeiten dabei?
Der früheste Film ist L'Espagne Vivra von Henri Cartier-Bresson, der bereits 1938, also vor der Gründung von Magnum, entstanden ist. Das Programm spannt sich dann über die Jahrzehnte bis hin zum Jahr 2007: Gideon Golds Porträt von Bruce Gilden, Misery Loves Company, wird kurz vor dem Festival fertig und frisch aus dem Kopierwerk kommen. Eine echte Weltpremiere also.