2008 | Sonderveranstaltungen
Aufbruch der Filmemacher: Kino im Blut – Gesellschaft im Kopf
Mit Gegenschuss - Aufbruch der Filmemacher wurde ein Dokumentarfilm zum Anlass genommen, eine Filmreihe mit Werken aus dem Filmverlag der Autoren auf der Berlinale 2008 zu zeigen. Alfred Holighaus, Sektionsleiter der Perspektive Deutsches Kino, hat die Reihe kuratiert.
Wie schafft es der Dokumentarfilm GEGENSCHUSS - Aufbruch der Filmemacher, das Interesse an diesem noch gar nicht so alten Teil der deutschen Filmgeschichte anzuregen?
Das ist genauso wie bei den Rolling Stones. Es gibt einfach eine Generation von Künstlern – witzigerweise alle zwischen 1935 und 1950 geboren – die bis ins vergleichsweise hohe Alter eine außergewöhnliche Authentizität behalten haben. Alle Leute, die in dem Film auftauchen, sind solche interessanten Charaktere, zum Teil gebrochen oder verärgert, zum Teil komplett ausgeglichen und mit sich im Reinen, aber alle auf ihre Art authentisch. In dieser Lebendigkeit verbergen sie nichts vor der Kamera, sie reden übereinander und nehmen dabei kein Blatt vor den Mund - würden sich aber auch nicht scheuen, mit dem Anderen persönlich über die Dinge zu sprechen. Sie erzählen das, was sie wirklich denken, und genau das macht den Film so lebendig.
Abgesehen davon sind es die vielen Filmausschnitte, die man vielleicht noch nie oder schon lange nicht mehr gesehen hat. Du siehst den Dokumentarfilm und denkst "Mensch, den jetzt noch mal ganz im Kino sehen...". All das macht den Film als Auftakt für die Reihe so geeignet.
Wie würdest Du die damalige Situation in der deutschen Filmlandschaft beschreiben, aus der heraus der Filmverlag gegründet wurde?
Das fand zu einem Zeitpunkt statt, als die kommerziellen deutschen Filme vor allem in Serie gemacht wurden, von Simmel-Filmen über Lausbubengeschichten bis hin zu Aufklärungsfilmen lief alles nur in Serie. Das bringt die Kunst selten nach vorne. Auf der einen Seite hat das Fernsehen alles beherrscht. Aber dann gab es da eine Generation von Filmemachern, die anders war, die wirklich etwas zu sagen hatte und dafür eine Basis benötigte. Der Erfolg gab ihnen Recht, wobei es durchaus auch ein Marketing-Erfolg war, denn plötzlich gab es ein Label für den ambitionierten Film.
Ähnlich wie in den 90er Jahren die Dogma-Filme war es damals der Neue Deutsche Film mit der Adresse „Filmverlag der Autoren“. Das war auch ein klares inhaltliches Statement: Wir sind die Autoren unserer Filme. Und das heißt, sie waren auch Produzenten oder haben gemeinsam mit anderen als Produzenten gearbeitet, es gab da unterschiedliche Konstellationen und Modelle. In jedem Fall war es ein eigenständiges Label und hatte eine unglaubliche Außenwirkung. Das erzählt der Film ja auch. Der Filmverlag bekam eben auch eine große internationale Aufmerksamkeit, vor allem in Frankreich und Amerika. Das gehört bis heute zum ganz großen Verdienst dieser Generation: Plötzlich hatte der deutsche Film die Grenzen überschritten und wurde jenseits derselben künstlerisch anerkannt.
Wie haben die Autoren sich und den politischen Film verstanden, etwa als Aufklärer oder moralische Instanzen?
Ein paar dachten sicher, dass sie eine Mission haben. Aber eigentlich waren es in erster Linie Leute, die Film im Blut hatten. Ihre Arbeiten waren auch stark vom amerikanischen Genrekino beeinflusst, schon allein deswegen weil sie alle wahnsinnig gerne Genrefilme gesehen haben. Diese Autoren waren voll von Film und diese Fülle haben sie wieder filmisch umgesetzt - in einer ganz eigenen Weise. Sie haben sehr schnell eine eigene Sprache entwickelt, die auch durch das Theater und dessen Darstellungsformen geprägt wurde. Im Grunde kann man sie auf ihre Art als Ausläufer der Dichter- und Denkerkultur bezeichnen, für die Deutschland ja bekanntlich mal berühmt war. Ich glaube, es war diese Mischung von Kino im Blut und das permanente Nachdenken über die Gesellschaft, in der sie lebten - obschon sie alle keine 68er waren.
In diesem Zusammenhang ist auch eine These im GEGENSCHUSS interessant, nämlich dass viele dieser Individualisten emotional mehr mit der RAF als mit dem SDS zu tun hatten. Und darin steckt ja im Grunde genommen - hoffentlich sage ich jetzt nichts Falsches - etwas Romantisches: Terror macht eigentlich keine konkrete Politik, sondern hat - wenn man so will - in seiner Aufmerksamkeit erregenden Behauptung sogar etwas Filmisches. Baader versus Dutschke. Und Baader ist im Gegensatz zu Dutschke ja auch schon ein Filmheld gewesen, was sicher kein Zufall ist.
Nichtsdestotrotz heißt die Reihe ja „Aufbruch“ der Filmemacher, das hört sich schon nach einem mehr oder weniger konkreten Ziel an.
Mit Sicherheit, das wird im englischen Titel auch noch deutlicher, da heißt es nämlich Rebellion of the filmmakers. Aber es ist eben eher eine Rebellion gegen ein filmisches System als gegen ein gesellschaftliches, wenn man das überhaupt so trennen kann.
Gibt es Parallelen zur momentanen Situation und heutigen Filmindustrie?
Schwierig, ich glaube, man kann es schwer auf heute beziehen, ich sehe da eher Parallelen zur Nouvelle Vague. Es gibt ja Gott sei dank auch Weiterentwicklungen und nicht nur Wiederholungen. Ich glaube dieser Teil der Geschichte hat vor allem dazu beigetragen, dass es heute mehr gibt als nur Schwarz und Weiß.
Eine Öffnung von Möglichkeiten, um den Horizont zu erweitern?
Genau. Und die schlechten Erfahrungen, die man damit gemacht hat - neben den hauptsächlich guten - lassen einen offener sein für Dinge, die vorher entstanden sind und die man vielleicht ignoriert hat.
In Im Lauf der Zeit wird die schwierige Lage von Programmkinos thematisiert, das ist ja heute immer noch Thema.
Ja, ich denke aber, das hat für Wenders eher als eine Metapher für Provinz im Allgemeinen funktioniert. Interessant finde ich, dass genau die Strecke, die Im Laufe der Zeit beschrieben wird, also die deutsch-deutsche Grenze, heute gar nicht mehr existiert und der Film in dieser Hinsicht nicht nur filmhistorische, sondern auch politikgeschichtliche Bedeutung hat.
Die Filme der Reihe werden im filmkunst 66 gezeigt. Inwiefern ist das Kino mit der Geschichte des Filmverlags verbunden?
Das Kino entstand im Zuge der Programmkinobewegung Anfang der Siebziger, die mit der Gründung des Filmverlags zusammenfiel. Es hat also auch immer diese Filme im Programm gehabt.
Werden die (noch lebenden) Filmemacher bei einzelnen Vorführungen anwesend sein?
Ja, wir werden alle zu Gast haben.
Fassbinder...?
Der ist ja sowieso immer da!