2008 | Berlinale Shorts
Experimente und Frühlingsgefühle
Die Berlinale Shorts gingen in die zweite Runde als eigenständige Sektion und boten ihrem Publikum ein reichhaltiges und abwechslungsreiches Programm. Junge und etablierte Filmemacher aus aller Welt bespielten dabei die ganze Bandbreite der inhaltlichen und formalen Kurzfilmklaviatur, bewiesen einmal mehr, dass Länge kein Qualitätskriterium ist, und zeigten, wie ein kurzer Film die Zuschauer in seinen Bann ziehen kann. Die Kuratorin Maike Mia Höhne über die Erfahrungen der Programmgestaltung, Kurzfilme, die Fragen aufwerfen, und aktuelle Gestaltungstendenzen in der Szene.
Seit 2007 gibt es die Berlinale Shorts als eigenständige Sektion. Verändert sich dadurch die Aufmerksamkeit für den kurzen Film auf der Berlinale? Konntest Du seit Deinem Amtsantritt im Sommer 2007 schon Reaktionen auffangen?
Die Reaktionen, die wir bis jetzt bekommen haben, waren alle sehr positiv. Aber ich denke, man muss erstmal das Festival abwarten, um mehr dazu sagen zu können. Ich persönlich bin begeistert von unserer Auswahl, die meiner Ansicht nach sehr speziell ist. Aber wir werden sehen, wie das die Zuschauer beurteilen... Abgesehen davon vergibt die Berlinale seit 1955 den Goldenen Bären für den besten Kurzfilm – hat also schon lange ein Augenmerk auf diesen speziellen Film.
In Eurem Online-Profil wird betont, dass die Produktion eines kurzen Films oft weniger aufwändig bzw. weniger kostenintensiv ist als die eines Langfilms. Den Auswahlprozess vereinfacht das sicher nicht unbedingt, wenn man von einem dementsprechend großen Filmangebot ausgeht. Gibt es bei den Berlinale Shorts spezielle Anforderungen für die Teilnahme am Festival?
Primär muss ein Film uns fesseln. Wenn er uns fesselt - warum und aus welchem Grund auch immer - hat man eine Grundlage, um darüber zu sprechen. Oder aber man kann sagen, „ich finde zwar keine Worte, aber der Film macht etwas mit mir“. Ist das eine oder das andere der Fall, kommt ein Film in die nähere Auswahl.
Also habt Ihr keine formalen Ausschlusskriterien oder genretechnischen Vorgaben? Wie sieht es zum Beispiel mit Musikvideos aus?
Es gibt keinerlei Genrevorgaben. Wenn ein Musik-Clip super ist, hat er auch einen Platz in unserem Programm. Aber in diesem Jahr waren keine relevanten Einsendungen dabei. Oft bleiben bei den Filmen, die abgelehnt werden, einfach zu viele Fragezeichen stehen, die uns nicht einsichtig geworden sind. Nicht, dass Fragen nicht gut wären. Im Gegenteil. Wir haben viele Filme im Programm, die Fragen aufwerfen und gerade deswegen so interessant sind. Wir haben Lust, mehr zu erfahren und sind froh, wenn der Filmemacher für ein Gespräch anwesend ist.
Auch wenn man Kurzfilme mit weniger Geld produzieren kann, gibt es ja im globalen Vergleich viele Länder, die eine wenig ausgeprägte Film-Infrastruktur haben, auf die die Filmemacher zurückgreifen können...
Wir haben zum Beispiel einen Film aus Georgien, Second Hand Sale von Temur Butikashvili, der wurde mit einfachsten Mitteln produziert. Der Regisseur nimmt sich viel Zeit zum Erzählen und bringt einem dabei mit soviel Wärme, aber auch Witz und Charme sein Land näher, das ist ganz toll und hat mich sofort berührt.
Man kann über die Filmauswahl sicherlich diskutieren, dazu bin ich auch gerne bereit. In jedem Fall ist es eine Zusammenstellung, die ich spannend finde.
Man sagt ja oft, der Kurzfilm dient als Einstieg in eine Filmemacher-Karriere, sozusagen als seine Visitenkarte. Gerade weil man als junger Mensch oft nicht die Mittel oder die Möglichkeit bekommt, längere Filme zu machen. Werden also nur Filme von jungen Regisseuren oder auch Produktionen etablierter Filmemacher zu sehen sein?
Das ist immer die klassische Frage, ist der Kurzfilm nur so eine Einstiegsdroge? Davon möchte ich ein bisschen wegkommen. Wir haben beides, ganz junge Filmemacher - was ich auch toll finde - zum Beispiel ist Olga Popova aus Russland, die mit B Teme (In The Theme) im Wettbewerb vertreten ist, erst 20 Jahre alt und David OReilly, mit RGB XYZ ebenfalls im Wettbewerb, ist, glaube ich, auch Anfang 20. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch etwas ältere, etabliertere Regisseure wie Jörn Staeger und den bereits erwähnten Temur Butikashvili, oder auch Maryann De Leo, die auf eine lange und erfolgreiche Karriere als Fernsehregisseurin im Dokumentarbereich zurückblicken kann, und nun White Horse gemeinsam mit dem bildenden Künstler Christophe Bisson gemacht hat.
Es geht ja nicht nur um den Einstieg in die Filmbranche. Für mich geht es vor allem darum, nach Filmemachern zu suchen, die eine eigene Sprache haben. Ich finde es ganz toll, dass es ein paar Filmemacher gibt, bei denen man das Gefühl hat, der Kurzfilm ist einfach ihr Format. Darin arbeiten sie, da haben sie ihre Bildsprache, ihre Dramaturgie und ihre Themen.
Und die sind meist eher in einem experimentellen oder installativen Kontext anzusiedeln?
Öfter, weil die Form es einem erlaubt, auch allein zu arbeiten. Das Problem beim Filmemachen ist ja häufig gar nicht so sehr, dass man lange Formate bevorzugt, sondern, dass man davon leben möchte. Und je weniger Leute man bezahlen muss, desto eher kann man allein davon leben. Deshalb bietet es sich vielleicht gerade im Kurzfilmbereich an, Projekte alleine umzusetzen. Und eben diese Arbeiten eignen sich häufig auch für den Installationsbereich. Insofern ist ein gewisser Anklang an den Kunstkontext auf jeden Fall vorhanden. Wir haben mehrere Filmemacher zu Gast, die in diesem Bereich zuhause sind. Aber natürlich gibt es da Grauzonen und oft kann man nicht genau sagen, ob eine Arbeit nun eine Installation ist oder nicht.
Am Montag, 11. Februar 2008 veranstaltet die Sektion Berlinale Shorts zusammen mit dem Berlinale Talent Campus #6 und dem Forum Expanded einen Tag des kurzen Films: shortfilm expands cinema. Neben Filmvorführungen und einem Forum zum Austausch zwischen Filmschaffenden und Besuchern der verschiedenen Sektionen wird es Diskussionsveranstaltungen geben. Was ist hier geplant?
Mit dem Forum Expanded pflegen wir eine enge Zusammenarbeit, weil die Grenzen zwischen den Formaten eben fließend sind und manche Filme in der einen oder anderen Sektion besser aufgehoben sind. Am 11.2. wird es ein Panel unter anderen mit Matthias Müller geben, das sich genau mit diesen Fragen nach den formalen Grenzen beschäftigt. Im Anschluss stellen sich verschiedene Festivals und Verleiher in einer Art Pitch den Teilnehmern vor, um hinterher am Stammtisch mit einem Glas in der Hand mit Talenten und Filmern ins Gespräch zu kommen. Der Abend wird mit der schon über die Jahre etablierten Talent Night, moderiert von David Thompson, abgeschlossen.
Gibt es bestimmte thematische oder formale Tendenzen, die sich in mehreren Beiträgen finden lassen?
Auffällig war das Streben in die Natur. Film ist traditionell ja das städtische Medium schlechthin – aus dieser heraus haben sich die Filmemacher auf die Berge, in die Wälder gemacht. Spannend.
Ein anderes Thema sind auf jeden Fall die Vater-Sohn- oder besser die Vater-Kind-Beziehungen. Väter gehen wieder auf ihre Kinder zu. Nach Jahren der Entfremdung und Abwesenheit der Väter suchen diese nun wieder die Beziehung zu ihren Kindern und wollen Verantwortung übernehmen. Das ist sehr schön, finde ich.
Auf formaler Ebene ist uns besonders die Präsenz und dramaturgische Bedeutung der Fotografie aufgefallen. Unglaublich, selbst in der Endauswahl lässt sich da eine stringente Linie ausmachen. Fotografie als Vermittler von Beziehung: Bild in die Hand genommen – Vergangenheit, Gegenwart: statt vieler Worte: ein Bild.
Interessant ist auch, dass in osteuropäischen Filmen sehr detailgetreu und nah an der Realität erzählt wird. Es drängt sich die Frage auf, warum es diesen Filmemachern so wichtig ist, alles festzuhalten und in den Film zu packen. Vielleicht hat es was mit ihrer Historie zu tun, ich möchte mich da nicht festlegen, jedenfalls ist es wirklich aufgefallen und regt zum Nachdenken an.
Wie verhält es sich generell mit dem Verhältnis von Bild und Sprache in den programmierten Filmen? Lassen sich beispielsweise auch sprachlastige Filme entdecken?
Um beim Beispiel der osteuropäischen Filme zu bleiben, die sind in gewisser Hinsicht genau das Gegenteil der so genannten „Berliner Schule“: Da wird quasi permanent geredet, mit den passenden Worten zu Bildern und Menschen, das ist großartig.
Und dann gibt es natürlich - gerade weil die Filmemacher oft jung sind - das Thema Frühlingserwachen. Vier bis fünf Filme zum dem Thema sind im Programm und auch alle im Wettbewerb. Wir sind gespannt, wie die unterschiedlichen Blickwinkel aufgenommen werden.