2009 | Berlinale Talents
Wendepunkte, Zusammenführungen und bewährte Konzepte
„Wir fungieren als einzigartige Kommunikationsplattform für junge Nachwuchsfilmemacher aus aller Welt. Ihnen bieten wir die Chance, international mit anderen Filmschaffenden zusammenzuarbeiten und Kontakte zu knüpfen.“ Projektleiterin Christine Tröstrum und Programmleiter Matthijs Wouter Knol geben einen Ausblick auf den Berlinale Talent Campus 2009 unter dem Motto „Suddenly, It All Happened - The turning point in close-up”
Ihr seid offiziell das neue Leitungsteam des Berlinale Talent Campus. Wie kann man sich eure Zusammenarbeit vorstellen? Habt ihr eine strenge Aufgabenteilung oder gibt es auch Überschneidungen eurer Arbeitsbereiche?
CT: Wir haben das Modell von vorher übernommen, nur dass wir nach außen als Zweierteam auftreten. Matthijs übernimmt die inhaltliche Arbeit und ist in diesem Sinne Programmverantwortlicher, während ich für die Organisation und Finanzierung zuständig bin. Gemeinsam kümmern wir uns natürlich um die strategische Weiterentwicklung des Gesamtprojektes und die Auslandsaktivitäten mit unseren Kooperationspartnern, wie die fünf Talent Campi Abroad oder die Filmkooperativen in Manila und Harare.
Wie sahen die Aktivitäten 2008 aus?
CT: 2008 hat erstmalig ein einführender Talent Campus Vision Day in Guadalajara, Mexiko, stattgefunden mit einem Schwerpunkt auf Dokumentarfilm. Außerdem gab es den früher im zweijährigen Rhythmus und inzwischen jährlich veranstalteten Talent Campus in Buenos Aires. Innerhalb von Südafrika sind wir mit dem Talent Campus Abroad vom Sithengi Filmfestival nach Durban umgezogen. Außerdem fand wieder ein Campus in Neu Delhi, Indien, statt sowie zum zweiten Mal auch in Sarajewo.
Gibt es durch Deine Ankunft, Matthijs, einen konzeptionellen Bruch, eine strategische Umorientierung des Talent Campus?
MWK: Nein, eine Umorientierung würde ich das nicht nennen. Es gibt natürlich Veränderungen, aber im Grunde genommen haben sich das Konzept und die Struktur des Campus als äußerst erfolgreich bewährt. Die Änderungen betreffen eher praktische Dinge auf der unteren Organisationsebene. Es gibt weiterhin die Hands-On-Programme und das Campus Studio. Nur bisher haben hier Talente während des Campus’ zusammen kleine Streifen fürs Internet produziert. Jetzt werden sie z.B. die Möglichkeit haben, gemeinsam an Rohschnitten zu arbeiten und sich auf die Postproduktion zu konzentrieren. Die praxisorientierten Angebote werden wieder im HAU 3 eingerichtet. Insgesamt versuchen wir, den Fokus nachdrücklich auf den Aspekt der Zusammenarbeit (auch mit Firmen) zu legen, sowie die Teilnahme nicht nur 30 ausgewählten, sondern so vielen Leuten wie möglich einzuräumen.
Das heißt, das Netzwerk wächst und gedeiht also nach wie vor?
CT: Genau. Wir fungieren – bestätigt durch Umfrageergebnisse des letzten Jahres - als einzigartige Kommunikationsplattform für junge Nachwuchsfilmemacher aus aller Welt. Ihnen bieten wir die wahrscheinlich einmalige Chance, international auf sehr hohem Niveau mit anderen Filmschaffenden zusammenzuarbeiten und Kontakte zu knüpfen. Und in dieser Konstellation steckt natürlich auch ein Anreiz für uns, das weiterzuentwickeln, was wir 2006 begonnen haben: dass es durch unsere Website für die Talente auch ein Leben nach dem Campus in Berlin gibt, welches gleichzeitig mit ihm und der Berlinale verbunden bleibt. Und nicht nur das. Wenn man einmal in der „Campus Community“ ist, kann man die vorhandene Infrastruktur insofern nutzen, als man andere Campi im Ausland besuchen kann oder beispielsweise Follow-ups mit dem Berlinale Co-Production Market oder dem World Cinema Fund in die Wege leitet. Gerade für das Zustandekommen geschäftlicher Kooperationen bietet wiederum unsere Website mit ihrer einzigartigen Funktionalität als B2B-Plattform ideale Voraussetzungen.
Die Umfrage hat darüber hinaus gezeigt, dass die Talente den Campus vor Ort für sehr wichtig erachten, gerade in Bezug auf seine Rolle als „Vitaminspritze“. Der Input, den die Talente bei uns bekommen können, gerade in den Hands-on-Programmen wie der Doc und Script Station oder der Volkswagen Score Competition, bedeutet ihnen enorm viel. Deshalb sind wir auch so bedacht darauf, den Talenten in diesen fünf Tagen zusammen mit Branchenprofis ein maßgeschneidertes Programm auf praktischer Ebene zu bieten. Und dafür ist es natürlich wichtig, dass wir die Interessenslage und Bedürfnisse der Talente im Vorhinein abfragen.
Individuelle Förderung und Praxis
Ihr koordiniert also im Vorhinein, wer wo am besten untergebracht werden kann und möchte, und fragt auch gezielt danach?
CT: Genau! Und in diese Richtung maßgeschneiderter Programme möchten wir den Talent Campus auch zunehmend weiterentwickeln. Natürlich werden wir letztendlich keine One-to-one-Formate anbieten können. Wir werden aber verstärkt daran arbeiten, noch mehr auf die individuellen Wünsche einzugehen und entsprechend Programme anzubieten.
Wie auf dem Talent Project Market?
CT: Zum Beispiel. Es gibt natürlich auch in bestimmten Hands-on-Programmen One-to-One-Meetings, aber das lässt sich eben nicht für 350 Leute realisieren. Was wir außerhalb der Hands-On-Programme noch im Blick behalten werden, ist die Weiterentwicklung von Initiativen aus dem letzten Jahr. Wir möchten auch in den anderen Veranstaltungen noch spezieller darauf eingehen, den Interessen der Besucher durch unsere Angebote besser zu entsprechen sowie Talente, Organisationen und Filmschaffende mit ähnlichen Ausrichtungen gezielt zusammenzuführen. Das betrifft etwa unsere Veranstaltung mit den NGOs, die wir wieder aufnehmen werden, oder auch das Dine & Shine Talent-Rendezvous, ein gemeinsames Essen, bei dem circa 300 Talente und 130 Leute aus der internationalen Filmindustrie zusammengebracht werden. Damit sich möglichst viele dabei kennenlernen, werden nach jedem Gang die Plätze gewechselt.
Wird das Zusammentreffen mit den NGOs ähnlich wie im letzten Jahr stattfinden?
MWK: Nein, das ändert sich ein bisschen. Letztes Jahr haben sich die Talente bei den NGOs vorgestellt. Dieses Jahr wollen wir den Spieß umdrehen: die NGOs präsentieren sich den Talenten und stellen detailliert dar, was sie anstreben, nach welcher Art von kreativer Produktform sie suchen und was man im Gegenzug einem jungen Filmschaffenden an Möglichkeiten bieten könnte.
Habt ihr je nach Herkunftsregion der Teilnehmer bzw. deren filmindustrieller Infrastruktur unterschiedliche Schwerpunktsetzungen in puncto Förderung und künstlerischer Inspiration?
CT: Man muss bei der Programmierung darauf achten, dass man für alle das entsprechende Angebot hat. Wenn man z.B. mit digitalen Workflows arbeitet, sollte man im Hinterkopf behalten, dass jemand aus Afrika eventuell nicht so leichten Zugriff auf eine hochprofessionelle Digitalausrüstung hat und eher mit einer Mini-DV-Kamera arbeitet. Darauf sollte man sich einstellen, gleichzeitig aber auch versuchen weiterzudenken und zu überlegen, ob es für uns Möglichkeiten gibt, diese Talente zu fördern.
Turning Points
Das Thema des siebten Berlinale Talent Campus heißt „Turning Points“. Am ehesten denkt man dabei ja an ein dramaturgisches Verfahren. Es lässt sich aber auch als formbarer oder dehnbarer Begriff verstehen, der zu neuen Umgangsformen inspirieren kann. Was für ein Konzept steckt für euch hinter dem Schlagwort?
MWK: Es sind mehrere Sachen, die dahinter stecken. Auf den ersten Blick hat es natürlich mit der narrativen Ebene zu tun, also mit Geschichten und der Art und Weise, wie dort Turning Points eingesetzt werden. Insofern liegt es auf der Hand, Drehbuchautoren und Regisseure einzuladen, die etwas über ihre Erfahrungen mit dem Thema berichten können und die bestenfalls Filme gemacht haben, welche in besonderer Weise von Turning Points abhängig sind.
Ferner planen wir eine spezielle Veranstaltung, die ein Licht auf Turning Points wirft, welche sich durch eine besondere gesellschaftliche Relevanz auszeichnen. Dabei geht es um Ereignisse und Akteure aus dem Film- oder Kulturbereich, die wirklich etwas ausgelöst und vielleicht breite Diskussionen über ein bestimmtes Thema in Gang gebracht haben. Uns liegen Filmemacher sehr am Herzen, die etwas bewegen und anstoßen wollen, die einen Film nicht nur machen, um eine schöne Geschichte zu erzählen, sondern weil sie ihre Meinung artikulieren und Engagement zeigen wollen.
Im praktischen Filmschaffensprozess kennt außerdem jeder die sehnsüchtig erwarteten Turning Points, wenn man mit seinem Drehbuch nicht weiterkommt, die entscheidende Idee zur Filmmusik auf sich warten lässt oder eine runde Schnittfolge einfach nicht gelingen will. Die Turning Points setzen dann oft ein, wenn man sich Hilfe holt bzw. in den Dialog mit anderen Filmemachern tritt. Diese gegenseitige Beeinflussung und wechselseitige Inspiration im konkreten Arbeitsprozess wollen wir ebenfalls unter die Lupe nehmen.
Und es geht um das Berlin Today Award-Thema für 2009 „My Wall“. In den Filmen, bei denen es sich größtenteils um Mauergeschichten handelt, spielen Veränderungen und Wendepunkte natürlich eine wichtige Rolle.
CT: Das Thema wurde gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt und unter der Schirmherrschaft von unserem Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier entwickelt. Erstmal sind wir vom 20. Jubiläum des Mauerfalls im nächsten Jahr ausgegangen und das haben wir dann sehr weit gefasst. Wir wollten nicht die typischen Mauerspechte abfilmen, sondern haben das Thema unter dem Titel „My Wall“ erweitert auf eher persönlich orientierte Aspekte und die Frage: Was hat Mauer mit meinem Leben zu tun? Dazu wurden dann auch sehr unterschiedliche Filme produziert und vom Medienboard Berlin-Brandenburg gefördert.
Wird es auch Veranstaltungen geben, in denen bildkompositionelle Aspekte, also z.B. Turning Points bezogen auf die Kameraarbeit, im Vordergrund stehen? Oder ist das zu eng gefasst?
MWK: Es gibt zum Beispiel Masterclasses für Kamera oder Setdesign. Wir sind in Kontakt mit Leuten, die sich dafür interessieren und haben uns darauf geeinigt, dass nicht unbedingt alle über Wendepunkte reden müssen. Das macht keinen Sinn. Natürlich gibt es viele und logische Verbindungen zu dem Thema, aber deshalb müssen nicht zwangsläufig alle Veranstaltungen mit Wendepunkten zu tun haben.
In dem dramaturgischen Konzept von Turning Points steckt ja durchaus eine Ambivalenz, weil es zum einen ein Muster ist, das man benutzt, und ein Weg, der in gewisser Weise vorgeschrieben ist. Zum anderen haben Turning Points prinzipiell auch etwas Überraschendes und das fand ich einen ganz spannenden Gedanken. Diese Vielfalt wird sich wohl auch in eurem Programm widerspiegeln?
MWK: Das ist ja das Konzept vom Campus. Dass wir ein Programm anbieten, das so viele Aspekte wie möglich miteinander verbindet und vielfältige Wege eröffnet. Wenn jemand Interesse an Musik hat, kann er eine bestimmte musikalische, stilistische Richtung einschlagen. Er kann aber genauso gut durch das Zusammentreffen mit anderen Leuten zu etwas ganz anderem gelangen, so dass man immer mit Überraschungen rechnen kann. Es ist definitiv nicht alles streng durchgeplant beim Campus.
Biografische Wendepunkte
Das heißt individuelle biographische Wendepunkte werden ebenfalls eine Rolle auf dem Campus spielen?
MWK: Selbstverständlich. Es gibt tolle Beispiele von Leuten, die als Filmkritiker angefangen haben, dann Regisseur wurden oder Schauspieler und nun Kamerafrau sind. Das gilt natürlich auch für Talente, die häufig nicht nur Regisseur sind, sondern auch als Kameramann oder Drehbuchautor arbeiten. Es kann sehr spannend sein über die Momente zu reden, in denen man sich entscheidet, nur noch Regie zu führen oder zusätzlich noch zu schreiben.
Ist auch der Talent Campus - auf solche biografischen Linien bezogen - für viele ein Wendepunkt in ihrem Leben?
MWK: Ich denke, das lässt sich nicht so pauschal sagen, aber es gibt durchaus Fälle, auf die das zutrifft.
CT: Es gibt in jedem Fall genügend Beispiele von Talenten, die das genauso sehen würden.