Dans la ville blanche
In the White City | In der weißen Stadt
Ende letzten Sommers sagte man mir: mach einen Film in Portugal. Ich hatte einmal die Schiffe gesehen, die die Mündung des Tajo hinauffuhren und sich an ihrem Ankerplatz in der Bewegung der Gezeiten um sich selbst drehten. Das hatte mich beeindruckt und an eine längst vergangene Zeit erinnert. Und an die Geheimnisse der Straßen Alt-Lissabons. Ich träumte vor mich hin und sah dann im Fernsehen einen Film mit Bruno Ganz. Ich entschied, daß er auf einem dieser Schiffe den Tajo hinauffahren sollte. Und zwischen den weißen Flecken meiner Erinnerung ließ ich Rosa erscheinen, die in der Bar eines Hotels nahe am Hafen arbeitete, und Elisa, die Frau vom Ufer des Rheins. Ich schrieb kein Drehbuch. Ich ließ einfach einige Visionen einer fernen und einer anderen, näheren Vergangenheit durchsickern, ein paar Erinnerungen, ein paar Bilder und das, was man so „starke Gefühle“ nennt. Hätte ich ein Drehbuch geschrieben, hätte ich eine Sinnebene hinzugefügt [...]. Und diesmal wollte ich keinen Sinn, sondern nur den Gegenstand. Ich bin dann nach Lissabon zurückgefahren, fremd und allein. Hier verfolgte ich Pauls Spuren (Paul ist der Name des Helden; meine Helden heißen immer Paul oder Pierre ...). Dann fingen wir an zu drehen, von einem Tag auf den anderen. Es gab keinen Zufall: am ersten Drehtag entdeckten wir in der Bar, in der Rosa arbeitet, eine Uhr, die verkehrt herum ging, die zurücklief. [...] Wegen dieser Uhr entschließt sich Paul zum Weiß um ihn herum, zum Weiß in seinem Kopf. Ich bin frei, sagt er, und die Zeit ist aufgehoben. […] Und wir, die filmen, von einem Tag auf den anderen. Und am Sonntag filme ich die Straßen auf Super-8. Diese Bilder sind so, als habe man einen 35 mm-Film mit einem Skalpell geöffnet, um ins Innere zu sehen. Auch in das Innere von Pauls Kopf.
Alain Tanner
Dokumentation der 33. Internationalen Filmfestspiele Berlin 1983
Neue Kopie
Alain Tanner
Dokumentation der 33. Internationalen Filmfestspiele Berlin 1983
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