2010 | Berlinale Talents
Der gute Film als Ziel
The Berlinale Talent Campus enters its eighth year. A record 4,773 applications from 145 countries underscore the event’s universally recognized relevance as a competence centre, guidepost and network for up-and-coming filmmakers. Programme manager Matthijs Wouter Knol and project manager Christine Tröstrum discuss the 2010 edition of the immensely successful project.
Das diesjährige Thema „Cinema Needs Talent: Looking for the Right People“ impliziert die Suche nach einem künstlerisch produktiven und fruchtbaren Zusammenarbeiten oder Zusammenwirken und scheint auf den ersten Blick nichts Neues für den Talent Campus zu sein.
MWK: Ja man kann in der Tat sagen, das gehört zu den Grundideen des Campus. Es ist aber nun nicht so, dass wir uns in diesem Jahr gesagt haben „Ach, jetzt machen wir es uns mal ganz einfach…“. Der Schwerpunkt des Themas liegt eher in der genauen Auseinandersetzung mit den vielschichtigen Beweggründen, die einen im Zuge einer Filmproduktion zu der Entscheidung bringen, welche Kooperationen man eingeht und welche nicht. Jeder Regisseur oder Produzent kommt mit seinem Filmprojekt einmal an den Punkt, an dem sich die Frage aufdrängt, mit wem man in einem bestimmten Bereich zusammenarbeiten möchte oder auch sollte - und das muss keineswegs nur zu Beginn der Produktion der Fall sein. Ist zum Beispiel bei einem Projekt bezüglich der Drehbuchentwicklung, der Finanzierung und des Drehs alles wunderbar gelaufen, so kann die Entscheidung, mit wem man seinen Film schneiden möchte oder mit wem man den Sound entwickeln möchte, noch einmal ganz neue Fragen aufwerfen. Achtet man eher auf Referenzen oder auf die zwischenmenschliche Chemie? Manchmal sind es vermeintlich zufällig getroffene Entscheidungen, die ein Projekt künstlerisch besonders weiterbringen. Es gibt sehr viele unterschiedliche Wege, wie eine solche Zusammenarbeit stattfinden kann. Das diesjährige Thema ist eigentlich ganz organisch mit dem gesamten Prozess des Filmschaffens verbunden.
Was Du beschreibst, ist auf der professionellen Ebene ja sozusagen abhängig von den „Skills“, die eine bestimmte Person mitbringt, also welche Fertigkeiten beherrscht jemand oder wie arbeitet er vielleicht auch ästhetisch. Beim Lesen Eurer Pressemitteilung zum Campus-Thema kam es mir so vor, als ob viele der verwendeten Begriffe in Richtung eines harmonischen Zusammenarbeitens abzielten. Und da stellte sich mir die Frage, ob nicht auch aus schwierigen und anstrengenden Arbeitssituationen Großartiges entstehen kann, denkt man zum Beispiel rückblickend an die Zusammenarbeit des diesjährigen Präsidenten der Internationalen Jury, Werner Herzog, mit Klaus Kinski…
MWK: Ich denke nicht, dass eine Zusammenarbeit unbedingt harmonisch verlaufen muss. Es geht vielmehr darum, sich mit seinen Ideen gegenseitig zu befruchten, was ja auf viele Arten und Weisen geschehen kann. Sicher braucht es zu bestimmten Zeiten auch mal eine kräftige Konfrontation, und für den künstlerischen Prozess kann es durchaus förderlich sein, wenn es einmal richtig kracht, da gibt es ja neben Herzog und Kinski noch viele andere Beispiele. Aber gerade diese beiden haben sich im ‚gegenseitigen Gegeneinander’ eine solche Inspiration verschafft, dass für beide Seiten und letztlich für den Film dann das Optimale herauskam. In Anbetracht der vielen gangbaren Wege würde ich sagen, dass nicht die Harmonie das Ziel einer gelungenen Zusammenarbeit ist, sondern der bestmögliche Film.
„Cinema Needs Talent - Looking for the Right People“ ist der vollständige Titel des diesjährigen Campus. Wer sind in Euren Augen die richtigen Leute und was macht ihr Talent aus?
MWK: Für mich bedeutet Talent, nicht nur eine Begabung oder einen „Skill“ zu haben, sondern diesen auch so einsetzen zu können, dass am Ende im Zusammenspiel das beste Ergebnis herauskommt. Ich würde sagen, darin steckt für den Campus die genauere Bedeutung des Talent-Begriffs.
CT: Es gibt im Englischen ja den schönen Begriff „Ability“, für den wir im Deutschen keine angemessene Übersetzung haben. Er setzt sich zusammen aus den „Skills“ einerseits, also den Fähigkeiten und Fertigkeiten, die man erlernt hat, und dem Talent andererseits. Beides zusammengenommen bildet eine hervorragende Ausgangslage für ein erfolgreiches Umsetzen der jeweiligen Vorhaben. Jemanden, der höchst talentiert ist, es aber nicht schafft, seine Projekte auch zu realisieren, wird man nie entdecken können.
Wenn man sich die fast 5000 Bewerbungen zum diesjährigen Berlinale Talent Campus anschaut, lassen sich zwei Gruppen von Bewerbern ausmachen: Auf der einen Seite gibt es viele Leute mit sehr geradlinigen Lebensläufen, die ein Projekt nach dem anderen umsetzen und teilweise bereits mehrere erfolgreiche Kurzfilme vorweisen können. Auf der anderen Seite haben wir auch Bewerber, die schon Ende 30 sind und bei denen sich außerordentliche Brüche in den Biografien abzeichnen. Wir begreifen es durchaus als unsere Aufgabe, auch diese Talente zu entdecken und zu fördern und ihnen eine zweite oder dritte Chance zu geben.
Gerade Linien und holprige Wege
MWK: Ob jemand Talent hat, kann man meines Erachtens am besten anhand seiner bereits vorhandenen Arbeiten beurteilen. Daher laden wir – entgegen der weit verbreiteten Meinung, der Campus richte sich nur an „Anfänger“ – auch viele Filmschaffende ein, die schon einiges an Erfahrung mitbringen. Von diesen Teilnehmern erhoffen wir uns für die kommenden Jahre - genau wie von allen anderen Talenten - den Sprung auf die jeweils für sie nächste Stufe, auf ein höheres Niveau ihres filmischen Schaffens.
Gibt es einen Grund, gerade jetzt ein solches Thema zu wählen? Ich meine, braucht das Kino heute dringender Talente als früher?
MWK: Wir haben das Thema gewählt, weil es uns anlässlich des 60. Jubiläumsjahres des Festivals ein besonderes Anliegen ist, deutlich zu machen, dass das Kino immer Talente und ein Festival immer Nachwuchs braucht. Dabei geht es eben nicht darum, ob jemand noch Anfänger ist oder ein schon lange etablierter Filmemacher, der seine Filme für den Wettbewerb einreicht, denn selbst dieser braucht noch Talent, um einen guten Film zu machen. In diesem Sinne ist das Thema nicht als ein Statement zu verstehen, dass das Kino „gerade heute“ Talente benötigt.
CT: Trotzdem leben wir natürlich in einer Zeit, in der wir in besonderem Maße Talente und Visionen brauchen, die das Kino und seine spezifischen Eigenschaften zukunftsfähig machen. Ein Thema im 60. Jubiläumsjahr der Internationalen Filmfestspiele Berlin ist ja die Diskussion über die Bedeutung des Kinos im öffentlichen Raum und über das Kino der Zukunft. Dementsprechend haben wir auf dem Campus viele Veranstaltungen initiiert, bei denen eine Auseinandersetzung stattfinden soll über Fragen zukünftiger Ästhetik, über Crossmedia-Projekte, Mobile Content, 3D und 180°-Projektionen sowie über die Produktion von Internetformaten. Gleichzeitig sind wir fest davon überzeugt, dass Filme auch in Zukunft einen öffentlichen Ort brauchen, an dem eine gemeinsame Rezeption und ein gemeinschaftlicher Austausch möglich ist, und dass es diesen Ort eben nicht nur zuhause vor der einsamen Leinwand geben kann. Auch wenn sich solche Tendenzen natürlich beobachten lassen, gibt es erfreulicherweise viele junge Leute, die sich mit Einfallsreichtum und Esprit alternative Orte schaffen, um sich weiterhin zu treffen und gemeinsam Filme, bewegte Bilder und andere Kunstformen zu rezipieren und zu diskutieren. Diese Entwicklungen zu fördern, liegt uns sehr am Herzen. Und egal, wie das Festival in 10, 15 oder 20 Jahren aussieht und ob wir dann nur noch Crossmedia-Projekte präsentieren und der klassische 35mm-Film irgendwann vielleicht nicht mehr existiert: Wir sind überzeugt, dass die Menschen sich nach wie vor physisch treffen wollen und sollen, um sich auszutauschen, anstatt alleine in einem rein virtuellen Raum zu vereinsamen. Besondere Kinofilme hervorzubringen für ein lebendiges und diskussionsfreudiges Publikum, das sehen wir nach wie vor als zentralen Teil und Ziel unseres Projekts.
Bringt Ihr während des Campus auch gezielt Leute zueinander, wenn Ihr denkt, da sollten sich zwei Talente unbedingt kennenlernen, weil das auf verschiedenen Ebenen gut passen könnte? Oder läuft das nur „ungesteuert“ auf den zahlreichen Netzwerk- und Kennenlern-Veranstaltungen, die ihr auf die Beine stellt?
MWK: Wir bringen auf jeden Fall auch gezielt Leute zueinander, indem wir zum Beispiel sogenannte Sessions durchführen, die im Vorfeld dezidiert geplant werden und bei denen sich einzelne Talente kennen lernen sollen. Wenn wir das nur dem Zufall überließen, würden sicher nicht so viele positive und viel versprechende Begegnungen und Kontakte zustande kommen. Im Idealfall ist der Campus eine Mischung aus beidem, also aus gezielter Zusammenführung, aber auch aus ungezwungenem Treffen.
Gezielte Zusammenführungen, ungezwungene Treffen
CT: Für die geplanten Zusammenkünfte im kleineren Kreis haben wir beispielsweise die Idee mit den „Counsellors“ eingeführt. Das sind bereits etablierte Produzenten oder Filmschaffende mit einem speziellen Fokus auf eine bestimmte Region oder ein bestimmtes Fachgebiet wie etwa Visual Arts. Die Talente, die sich speziell für diesen Bereich begeistern und engagieren, bringen wir in Kleingruppen mit den „Counsellors“ zusammen, um einen eingehenden Austausch anzuregen und teilweise auch gemeinsame Exkursionen etwa zum Forum Expanded oder zum European Film Market zu unternehmen.
Gesteuerte Kontaktaufnahmen gibt es aber natürlich auch über den eigenen Kreativ- und Schaffensbereich hinaus. Beispielsweise werden wir teilnehmenden Produzenten interessante Software-Lösungen für internationale Koproduktionen vorstellen, die wiederum in der Filmhochschule in Babelsberg entwickelt wurden. Darüber hinaus schreiben die Talents im Rahmen ihrer Bewerbungen detaillierte „Motivation Letters“, aus denen wir die besonderen Interessen im Vorfeld sehr gut entnehmen können. Dementsprechend versuchen wir, die uns bekannten und verfügbaren Möglichkeiten für die 350 Talente gezielt einzusetzen und auszuschöpfen.
Wie sind Eure bisherigen Erfahrungen, was die Etablierung von kurz-, mittel- und langfristigen Arbeitszusammenhängen angeht, sofern Ihr das beurteilen könnt?
MWK: Jedes Jahr werden bei der Berlinale um die 25-30 Filme eingereicht, an denen Campus-Alumni beteiligt sind, manchmal nur einer, manchmal auch zwei oder drei. Viele der eingereichten Projekte nehmen ihren Anfang in Berlin, sprich: die Leute haben hier vor Ort auf dem Campus oder dem Festival zueinander gefunden. Oft finden sich die Partner aber auch im Nachhinein über unsere Website-Community. Ein gutes Beispiel sind hier die „Berlin Today Award“-Filme, die ja im Rahmen des Campus mit Förderung des Medienboard Berlin-Brandenburg entstehen und dann bei uns uraufgeführt und prämiert werden. Für diese Produktionen werden oft Schauspieler, Cutter, Filmkomponisten usw. über unsere Community gesucht und gefunden. Das Campus-Netzwerk wird aktiv genutzt, um die jeweils perfekte Ergänzung zum eigenen Team zu finden. Und genauso soll es ja auch sein.
CT: Für viele Filme fungieren wir als eine Art Geburtshelfer. Wir wählen gezielt Projekte aus und stellen diese Mentoren vor. Die Filmemacher erhalten professionelles Feedback auf ihre Projekte, und wir unterstützen sie nach dem Campus in Fragen der inhaltlichen Weiterentwicklung, der Finanzierung oder der Suche nach weiteren potentiellen Partnern. Eine beachtliche Anzahl von Projekten, die in der Doc&Script Station und dem Talent Projekt Market in den letzten Jahren vorgestellt wurden, sind mittlerweile fertig gestellt, wie z.B. One Man Village von Simon El-Habre aus dem Libanon (Doc Station 2006). Der Film lief im Forum der Berlinale 2009 und gewann im April 2009 in Toronto beim HOT DOCS Canadian International Film Festival den Preis für Best Feature-length Documentary in der Sektion “International Competition”.
Die bei den Talenten sehr beliebten Hands-On-Programme bekommen dieses Jahr weiteren Zuwachs, wie man lesen konnte?
MWK: Zu den sechs bestehenden Formaten kommt in diesem Jahr erstmals ein Hands-On-Programm, das speziell auf das Schauspielen ausgerichtet ist. Schauspieler haben natürlich auch schon vorher am Campus teilgenommen und bei diversen Hands-On-Programmen unterstützend mitgewirkt, beispielsweise bei der Script Station. Dieses Jahr gibt es aber ein eigens auf sie abgestimmtes Programm, in dessen Rahmen dann auch bisherige Veranstaltungen zum Thema Casting oder „How to Read a Script“ zusammengefasst werden. Darüber hinaus werden wir zum ersten Mal Workshops über die qualifizierte Zusammenarbeit zwischen Regisseuren und Schauspielern, sowie über die besonderen Herausforderungen des Spielens vor der Kamera durchführen. Diese Workshops richten sich natürlich nicht nur an Schauspieler, sondern in gleichem Maße auch an Regisseure, Kameraleute und Drehbuchautoren, die ja direkt an diesen Prozessen beteiligt sind.
Der Campus hat sich nicht nur in Berlin etabliert, sondern ist mit seinen internationalen Ablegern, den Campi Abroad, quasi ein großer Exportschlager geworden. Werdet Ihr dieses Engagement noch in weitere Länder tragen?
CT: Wir bekommen regelmäßig eine Vielzahl von Anfragen von Festivals weltweit, die gerne einen weiteren Campus Abroad in Zusammenarbeit mit uns ausrichten möchten. Inzwischen sind wir aber leider am Ende unserer Kapazitäten für weitere Kooperationen angelangt und denken, dass das Potential für weitere Campi nicht mehr in ausreichender Form gegeben ist. Woran wir derzeit noch arbeiten, ist, nach dem Campus in Indien vor zwei Jahren, wieder eine Kooperation mit Asien zustande zu bringen. Dies wird aber wohl erst 2011 konkretere Formen annehmen. Nach wie vor liegt uns natürlich das Engagement für Süd- und Mittelamerika, für Afrika und für Osteuropa sehr am Herzen.
Der „Berlin Today Award“ als Erfolgsgeschichte
Hat es für Euch eigentlich eine besondere Bedeutung, dass der „Berlin Today Award“-Gewinner 2009 Wagah neben zahlreichen Auszeichnungen wie z.B. dem Großen Preis in Bilbao nun auch noch den Deutschen Kurzfilmpreis in Gold für den Besten Dokumentarfilm gewonnen hat?
CT: Das ist wirklich eine großartige Erfolgsgeschichte. Der Regisseur Supriyo Sen arbeitet jetzt übrigens an einem weiteren Projekt mit der Produktionsfirma Detailfilm, welches auch eine Medienboard-Förderung erhalten hat. Also besser kann es nicht laufen.
MWK: Das ist einfach ein hervorragendes Beispiel dafür, welche Aufmerksamkeit und welches Niveau ein „Berlin Today Award“-Projekt erreichen kann. Und es zeigt auch, dass diese Filme nicht nur im regionalen Kontext hier überzeugen und Preise gewinnen, sondern in aller Welt anerkannt und geschätzt werden. Wir vermuten, dass der extreme Anstieg der Bewerberzahlen in den letzten Jahren stark auf die Erfolge der „Berlin Today Award“-Filme zurückzuführen ist. Und insbesondere der Erfolg von Wagah ist eine enorme Werbung für den Campus und für die gesamte Berlinale.