2013 | Berlinale Talents
Act Local, Think Global
Neue Formate auszuprobieren, neue Produktionswege zu erschließen und neue Zuschauergruppen zu finden: Dies werden die roten Fäden sein, die sich durch das diesjährige Programm des Berlinale Talent Campus ziehen. Im Interview sprechen Programmleiter Matthijs Wouter Knol und Projektleiterin Christine Tröstrum über die Feinheiten guter Unterhaltung und die Stärkung des Independent-Films.
Wie ist das diesjährige Thema „Some Like It Hot - Filmmakers as Entertainers“ zu verstehen?
Christine Tröstrum: Der Campus hat sich in den vergangenen Jahren viel mit den unterschiedlichen Entwicklungsmöglichkeiten aufstrebender Filmemacher in der Filmindustrie beschäftigt. Nach zehn Jahren Talent Campus war es uns ein Anliegen, den Fokus auf das Entertainment zu legen, denn Filmemachen ist Teil der Unterhaltungsindustrie: Im Arthouse-Bereich wird dies in der Entwicklungsphase oft vernachlässigt.
Matthijs Wouter Knol: Als Zuschauer fällt es uns leicht zu beurteilen, ob ein Film unterhaltsam ist oder nicht. Die spannende Frage lautet: Wie wird aus einem Film großartige Unterhaltung? Mit dieser Frage kreativ umzugehen, neue Formate auszuprobieren, neue Produktionswege zu erschließen und auch neue Zuschauergruppen zu finden, dies werden die roten Fäden sein, die sich durch das diesjährige Campus-Programm ziehen. Wir wollen den Talenten vermitteln, sich einen Freiraum für Spielerisches und Unkonventionelles zu schaffen. Dafür haben wir wieder eine Menge spannende Gäste des aktuellen Berlinale-Programms sowie zusätzliche Campus-Gäste gewinnen können. Sie werden sich mit den Talenten über die Feinheiten guter Unterhaltung austauschen und aus eigener Erfahrung berichten, wie man Geschichten auf neue und unerwartete Weise erzählen und das Herz des Publikums erobern kann.
Innovative Lösungen bei geringen Budgets
CT: Zum Stichwort Publikum - über die Frage des Entertainments hinaus wollen wir in den kommenden Jahren beim Campus den aus dem Kulturmanagement der 1990er Jahre stammenden Begriff der Besucherentwicklung (Audience Developments) untersuchen und „Best practice Modelle“ aufzeigen. In Zeiten knapper öffentlicher Kassen sind beispielsweise in Großbritannien oder Kanada Micro-Budget-Filme entstanden, die unter dem ökonomischen Druck kreative Marktetingstrategien entwickelt haben und damit zu einer „Markenbildung“ geführt haben. Im Filmbereich ist dies seit den „Dogma-Filmen“ nicht wirklich neu, aber es fehlt seither an strategischen Zukunfts- und Anwendungsmodellen: Scheinbare Erfolgsrezepte sind aufgrund der diffusen Marktsituation gescheitert oder Filme wurden ein Publikumserfolg, ohne auf einen großen Masterplan zurückzugreifen.
Wie man das Publikum in seinen Bann ziehen kann, wird eine der Fragen sein, mit denen sich der Campus 2013 befasst.
MWK: Wo Geldmangel die Filmbranche dominiert, sind engere Zusammenarbeit und neue Produktionswege gefragt. Wir möchten beim Campus zeigen, dass Micro-Budgets auch eine Chance darstellen können. Amra Baksič Camo, die Produzentin von Danis Tanović, wird darüber sprechen, wie sie mit ihm an seinem neuen Film in Bosnien gearbeitet hat und Anna Seifert-Speck, die Produzentin von Andrew Haighs erfolgreichem Film Weekend, wird aufzeigen, wie gerade das geringe Budget entscheidend dazu beigetragen hat, innovative Lösungen zu finden, die das Projekt gestärkt und inhaltlich bereichert haben. Kreative Produzenten aus Europa werden sich mit dem Thema auseinandersetzen, wie man Regisseure inhaltlich stärker unterstützen und erfolgreich aufbauen kann. Und südeuropäische Filmschaffende mit Filmen im Berlinale-Programm werden von ihren Erfahrungen und ihrem Umgang mit der Krise zum Beispiel in Griechenland oder Portugal berichten.
Neuen Auswertungsplattformen und Verwertungsstrategien
2012 wurden erstmals angehende Verleiher aus aller Welt ausgewählt. Auch 2013 sind wieder junge Verleiher zum Campus eingeladen. Die Zusammenarbeit 2012 war also erfolgreich?
MWK: Die Zusammenarbeit war sehr erfolgreich. Die elf internationalen Verleiher haben im Anschluss an den 10. Campus sogar ein kleines Manifest für eine Stärkung des Independent-Films erarbeitet. Darin fordern sie unter anderem, die Filmdistribution stärker als bisher in die Ausbildungs- und Förderstrukturen zu integrieren und die Filmförderung generell an die Entwicklung und Umsetzung von erfolgreichen Distributionskonzepten zu knüpfen.
Welche neuen Auswertungsplattformen und Verwertungsstrategien spielen eine besondere Rolle?
MWK: Nach wie vor sind neue Finanzierungsmodelle wie Crowdfunding aktuell. Wir sehen beispielsweise durch unsere enge Zusammenarbeit mit den Campus-Programmen in Mittel- und Südamerika, dass aufstrebende Filmemacher diese Möglichkeit seit dem letzten Jahr aktiv nutzen. Aber auch die VoD-Plattformen haben sich weiterentwickelt und spezialisiert und bieten den Filmemachern und Produzenten ein breiteres Spektrum, um ihre Filme zu vermarkten. Während des Campus präsentieren wir einige erfolgreiche Beispiele aus der Praxis und laden die beteiligten Filmschaffenden ein, aus erster Hand zu berichten, was funktioniert hat und welche Bereiche noch weiter entwickelt werden müssen.
Wie wählt Ihr die Projekte für den Talent Project Market und damit zur Nominierung für die „Talent Project Highlights“ aus? Achtet Ihr auf eine gewisse Universalität, Geschichten die über Ländergrenzen hinweg funktionieren?
CT: Um sich beim Talent Project Market sich zu bewerben, muss ein fertiges Drehbuch vorliegen und die Produzenten oder Regisseure sollten potentielle Koproduzenten suchen. Gesucht werden vorrangig Geschichten, die universell funktionieren. Es gibt in der Branche dafür den schönen Begriff „act local, think global“. Aus den zehn ausgewählten Projekten, die zum Talent Project Market eingeladen werden, werden dann von einer Jury drei Projekte nominiert, die für den Highlight Pitch ausgewählt werden.
Schaut man sich die Kino-Chartlisten des letzten Jahres an, fällt auf, dass ein großer Teil der erfolgreichsten Produktionen Sequels oder Literaturverfilmungen sind. Was bedeutet das mit Blick auf die Drehbuchautoren und die Script Station?
MWK: Das stimmt. Zwar werden originelle Stoffe in den verschiedenen Programmen des Talent Campus (Doc Station, Script Station und Short Film Station) entwickelt, aber diese Filme gelangen seltener in die Kinoauswertung. Trotzdem werden diese Drehbücher und Projekte weiterhin tatkräftig von uns unterstützt. Auch wenn der Geschmack des Publikums großteils von vielen eher unoriginellen Kinofilmen geprägt ist - die Vielfältigkeit des Geschichtenerzählens und der Reichtum an kulturell motivierten, außergewöhnlichen, manchmal auch beunruhigenden Filmen muss erhalten und gefördert werden. Dies ist für uns ein maßgeblicher Antrieb bei unserer Arbeit am Campus.
Short Film Station
Der Berlin Today Award wurde 2012 zum letzten Mal verliehen. Ist die Short Film Station als direkte Weiterentwicklung dieser Erfolgsgeschichte zu verstehen?
MWK: Innerhalb der Short Film Station werden zehn Kurzfilme von Drehbuchautoren und Regisseuren ausgewählt. Die Filmemacher erhalten ein Präsentationstraining und Mentoren geben ihnen in Einzelmeetings Feedback zu ihren Drehbüchern. Es gibt erstmalig einen Project Presentation Day im Berliner Abgeordnetenhaus. Dort werden neben den Projekten der Script Station und Doc Station auch die zehn Kurzfilmemacher ihre Projekte potentiellen Produzenten, Finanziers oder Festivalmachern vorstellen. Anders als beim Berlin Today Award sind die Filmemacher selbst für die Produktion und Finanzierung verantwortlich. Wir finden dieses neue Konzept der aktuellen Marktsituation angemessener.
Neuerungen und Tendenzen
2013 gibt es noch ein zweites neues Hands-on-Programm, das Sound Studio.
MWK: Das neue Sound Studio, das sich in erster Linie an Sounddesigner und Filmkomponisten richtet, bietet die Chance, sich mit renommierten deutschen und internationalen Experten in verschiedenen Case Studies zum Thema Ton auseinanderzusetzen. Dolby® Atmos, das neue Tonsystem von unserem Partner Dolby® Labs, wird im CineStar 7 präsentiert und die ersten Produktionen, die mit Atmos gemischt worden sind, zum Beispiel Die Vermessung der Welt, werden von den beteiligten Fachexperten vorgestellt. Wir freuen uns über die Zusammenarbeit mit dem Berliner Heinrich-Hertz-Institut, das unseren Talenten die Möglichkeit bietet, mit den neuesten Techniken zu arbeiten und sie praktisch zu erproben. Und wir sind sehr stolz darauf, den „Grand Master“ im Soundbereich, Walter Murch, in diesem Jahr beim Campus zu begrüßen, der den Talenten seine Arbeit und neueste Entwicklungen präsentieren wird.
Welche Zukunftstrends wollt ihr in diesem Jahr aufzeigen?
CT: Wir planen erstmalig, am letzten Campus-Tag neben den ausgewählten Artikeln der Talent Press ein Best of Campus herauszugeben, und werden dort eine Zusammenfassung der beobachteten Trends vorstellen.
MWK: Einige Entwicklungen lassen sich natürlich bereits im Vorfeld benennen, wie zum Beispiel die Weiterentwicklung auf dem Gebiet des digitalen Production Designs sowie das Bedürfnis, Geschichten seriell zu erzählen und Charaktere vielfältiger zu entwickeln, als es in klassischen Filmformaten möglich ist. Weiterhin beobachten wir die Tendenz, dass Produzenten verstärkt eigene kreative Talente einsetzen und versuchen, aufstrebende Drehbuchautoren und Regisseure langfristig aufzubauen. Und: Wir sehen eine neue Generation von afrikanischen Filmemachern, die sich bewusst mit neuen Bildern profilieren und die – auch dank der Unterstützung verschiedener internationaler Programme - starke und beeindruckend neue Geschichten von einem Kontinent erzählen, der zuvor allzu oft mit dem filmischen Klischee von Armut und rückwärtsgewandten Traditionen assoziiert wurde.
Inwiefern hat sich der Berlinale Talent Campus verändert? Von einer Plattform des Austauschs, mehr hin zu einem Produktionsmarkt?
CT: Einen Markt hat das Festival ja schon. Sagen wir, der Campus hat sich mehr und mehr zu einem Lab entwickelt. Aber die einzigartige und quirlige Plattform des Austauschens und Kennenlernens werden wir immer bleiben. Denn wir laden ja nicht nur Drehbuchautoren, Regisseure und Produzenten in die Campus-Community ein, sondern auch DOPs, Cutter, Filmmusiker/Sounddesigner, Produktiondesigner, Verleiher, Filmkritikern und Schauspieler.