2014 | Berlinale Talents
Lust am Erzählen wecken
Mit neuem Namen und neuem Logo startet die Talent-Initiative der Berlinale in ihr zwölftes Jahr. Im Interview sprechen Programmleiter Matthijs Wouter Knol und Projektleiterin Christine Tröstrum über die Beweggründe für den Relaunch, über neue Programminhalte und die Kunst des Geschichtenerzählens.
Nach elf Jahren hat der ehemalige Berlinale Talent Campus einen neuen Namen und auch ein neues Gesicht bekommen. Warum?
Matthijs Wouter Knol: Als der Campus 2003 initiiert wurde, stellte er als Treffpunkt für den weltweiten Filmnachwuchs eine einzigartige Initiative dar, die sich in den folgenden Jahren konsequent weiterentwickelt hat. So etwa haben sich aus der vornehmlichen Lecture-Struktur heraus organisch die Studios und Project Labs gebildet, weil wir auf die sich verändernden Bedürfnisse der Filmemacher reagiert haben. Unser Angebot hat sich professionalisiert, ohne dass jedoch der Name dies gespiegelt hätte. Der Begriff „Campus“ wird ja doch eher mit Studenten in Zusammenhang gebracht, unser Programm aber repräsentiert nichts dezidiert Schulisches oder Universitäres mehr, sondern konzentriert sich zunehmend auf praktische Bedürfnisse aufstrebender Profis. Der Kern unserer Berlinale-Initiative ist, dass wir jedes Jahr 300 vielversprechende Filmemacher aus der ganzen Welt einladen mit ihren Projekten und Ideen, die sie hier diskutieren und weiterentwickeln können. Bei uns treffen sich die Talente der Berlinale – warum also die ganze Sache nicht genau so benennen: Berlinale Talents.
Christine Tröstrum: Was uns deutlich von den Programmsektionen der Berlinale unterscheidet ist, dass wir nicht einzelne Filme auswählen, sondern Filmografien, Personen, die vielversprechende Projekte realisiert haben und die an einem Punkt ihrer Karriere stehen, von dem wir glauben, dass sie eine Teilnahme weiterbringen wird. Wir wollen sie ermutigen, sich gegenseitig kennenzulernen, an Projekten zusammenzuarbeiten, sich untereinander und mit anderen Berlinale-Gästen zu vernetzen. Wir fördern Filmkarrieren, wenn man so will, und das wollten wir mit der Umbenennung in Berlinale Talents deutlicher machen als es bisher der Fall war.
Fällt damit auch dem Networking mehr Bedeutung zu als bisher?
MWK: Nicht unbedingt. Es geht uns zwar um eine Gruppe von talentierten Menschen, die kreativ im Film arbeiten, aber noch nicht ganz so gut vernetzt sind. Der Networking-Aspekt von Berlinale Talents, bei dem 300 aufstrebende Filmemacher und Berlinale-Gäste aufeinander treffen, ist aber automatisch groß und hat sich durch die Neustrukturierung deshalb auch nicht bewusst verändert. Es geht um die Kreativen und wie wir als Berlinale sie weiter unterstützen können.
CT: Aus der Kooperation mit Canon entstand im vergangenen Jahr erstmals die Idee, von allen 300 Talenten ein professionelles Porträtfoto zu erstellen und diese dann überall sichtbar zu machen. Das war ein wichtiger Schritt hin zur Visualisierung unserer Profilschärfung: Seht her, das sind unsere 300 Berlinale Talents! Hier könnt Ihr talentierte Kreative entdecken aus unterschiedlichen filmischen Disziplinen.
Weg vom Eindruck, bei den Teilnehmern handle es sich um Studenten, hin zu ihrer klaren Positionierung als Professionelle einer neuen Generation.
MWK: Genau, denn nach zwölf Jahren gehört eines nach wie vor zu den wichtigsten Eigenschaften unserer Initiative: Augenhöhe. Nicht nur die 300 Talente untereinander, sondern auch die Experten begegnen ihnen auf Augenhöhe. Natürlich gibt es Erfahrungsunterschiede, das ist ja klar. Aber es geht uns nicht um eine Lehrer-Schüler-Beziehung, sondern um einen Austausch auf professioneller Ebene.
Wie fügen sich denn die fünf internationalen Ableger der Berlinale Talents in Guadalajara, Buenos Aires, Durban, Sarajevo und Tokio in die Änderungen ein – wird die Zusammenarbeit noch enger ausfallen?
CT: Eine engere inhaltliche Bindung als in den vergangenen Jahren ist kaum möglich. Natürlich werden die internationalen Ausgaben komplett selbständig geführt, das war uns auch immer wichtig. Inhaltlich aber haben wir von Beginn an eng kooperiert, uns gegenseitig unterstützt, inspiriert und die gemeinsame Marke gepflegt. Nur hat sich nach außen hin diese gemeinsame Marke bisher wenig kommuniziert, schon weil der Auftritt jeder Ausgabe grafisch eigenständig gestaltet wurde. Durch das neue gemeinsame Logo wird fortan sichtbarer, dass allen sechs Editionen dieselbe Initiative zugrunde liegt mit gemeinsamen Zielen, Konzepten und Ideen. Uns war es wichtig, diesen Zusammenhang klarer zu machen.
Berlinale Talents teilt sich in vier Bereiche: Summit, Studios, Project Labs und Talent Press. Was macht die einzelnen Elemente aus?
MWK: Der Summit ist das öffentliche Programm der Berlinale Talents, das auf allen Bühnen des Theaters HAU Hebbel am Ufer stattfindet. Es besteht aus Master Classes und Paneldiskussionen mit Experten und Gästen, die entweder bei der Berlinale mit einem Film präsent sind oder exklusiv für Berlinale Talents anreisen. Neben großen Meistern der internationalen Filmkunst und gestandenen Profis sind das auch Alumni, also ehemalige Berlinale Talents – sie alle können bei uns in detaillierteren Gesprächen ihre Projekte vorstellen, von ihren Erfahrungen berichten und dem Publikum einen intensiven Austausch anbieten. Der Summit ist offen für alle – vom zahlenden Publikum über akkreditierte Berlinale-Teilnehmer bis hin zu den 300 Talenten. Das unterscheidet ihn von den Programmen Studios, Project Labs und Talent Press, deren Teilnehmer gezielt ausgesucht wurden und für die sich die Talente im Vorfeld beworben haben.
CT: Für die vier Project Labs (Talent Project Market, Doc Station, Script Station und Short Film Station) ist es erforderlich, dass man sich mit einem Film „in development“ bewirbt. Im Vorfeld haben wir 40 Kreative mit ihren Projekten ausgewählt und bieten ihnen während der Berlinale Talents-Woche gezielte Programme. So ist etwa der Talent Project Market Teil des Berlinale Co-Production Market, auf dem der Regisseur oder der Produzent sein Projekt internationalen Finanziers vorstellen kann. Die Teilnehmer der Short Film, Doc und Script Station erhalten von Experten Feedback auf hohem Niveau zu ihren entwickelten Stoffen, die sie bereits am Ende der Woche – am Project Presentation Day – Vertretern aus der internationalen Filmindustrie vorstellen können.
Für die sechs Studios (Post-Production Studio, Editing Studio, Sound Studio, Production Design Studio, Distribution Studio und Acting Studio) können sich die ausgesuchten Talente gesondert bewerben. Auch für die Studios stehen besondere Experten als Mentoren bereit, um mit den Teilnehmern Praxisübungen durchzuführen, die weit über das bei Workshops übliche Maß hinausgehen. Die Studios enden ebenfalls mit einer kleinen Präsentation, um allen anderen Talenten und Gästen Einblicke in ihre Inhalte zu gewähren.
Talent Press schließlich ist eines unserer ältesten Workshop-Programme, in dem wir aufstrebenden Filmkritikern die Möglichkeit bieten, unter A-Festival-Bedingungen Kritiken zu verfassen, sich mit erfahrenen Kollegen auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. Am Ende der Woche erscheint ein gedrucktes „Best of“ mit einer Auswahl der entstandenen Texte, online auch unter www.talentpress.org zu finden.
Im letzten Jahr habt Ihr erstmals auch Filme von Alumni gezeigt, die gleichzeitig eine Einladung zur Berlinale erhalten hatten. Werden Alumni auch weiterhin Teil des Talents-Programms sein?
CT: Auf jeden Fall. Jedes Jahr werden rund 50 ehemalige Talents mit ihren Filmen in das offizielle Programm der Berlinale eingeladen. Unsere Talente bauen also regelmäßig sehr erfolgreich auf das auf, was sie hier bei uns an inhaltlichen Anstößen und gewinnbringenden Kontakten mitnehmen. Auch das möchten wir transparenter machen und zeigen deshalb ausgesuchte Alumni-Filme. Den Campus 2013 hatten wir zum Beispiel mit La Plaga (The Plague, Spanien 2013, Berlinale Forum 2013) von Neus Ballús eröffnet, der danach weltweit auf weiteren Festivals lief und unter anderem beim Europäischen Filmpreis als European Discovery of the Year nominiert wurde. Dazu haben wir Youth (Israel, Deutschland 2013, Berlinale Panorama 2013) von Tom Shoval gezeigt, der beim Campus einen deutschen Produzenten gefunden hatte und Ende Januar 2014, unter anderem vom Medienboard Berlin-Brandenburg gefördert, in die deutschen Kinos kommt. Mit den Project Labs sind wir übrigens regelmäßig sehr erfolgreich: Allein bei der Doc und Script Station konnten von uns ausgewählte Projekte vom Deutschen Filmpreis bis hin zur Goldenen Taube in Leipzig sehr viele Preise gewinnen.
MWK: Gerade für die „aktuellen“ Talente ist es sehr spannend, diese Ehemaligen zu treffen und zu deren Erfahrungen zu befragen. Es ist für sie ein echter Anreiz zu sehen, dass die Projekte, an denen sie arbeiten, auch reelle Chancen haben, bei der Berlinale dann in den kommenden Jahren gezeigt zu werden.
Der thematische Schwerpunkt 2014 lautet: „Ready to Play? Breaking the Rules“. Wie wird das Thema im Programm eingebunden sein?
MWK: Bei unserem diesjährigen Schwerpunkt steht das Thema „Spiel“ im Zentrum, Spiel auch im Sinne von Experiment. So wollen wir uns Fragen widmen, wie sich etwa die Stoffentwicklung spielerisch angehen lässt, wie man mit den Spielregeln der Filmindustrie umgeht, wie man sie erlernt und variiert, welche Umstände Innovationen erlauben – es gibt sehr unterschiedliche Ansätze, wie das Thema Eingang ins Programm finden wird. „Breaking the Rules“ richtet sich darauf, dass wir unsere Teilnehmer ermutigen wollen, nicht nur blind den Mechanismen des Business zu folgen und dem gerade Erfolgreichen nachzueifern, sondern auch die eigenen Ideen zu verwirklichen und Regeln zu hinterfragen.
CT: Damit richtet der Schwerpunkt gleichsam auch einen Fokus auf das Storytelling. Wir möchten gerne dazu anregen, wieder mehr mit den Geschichten zu spielen, die Charaktere auch mal in andere Richtungen zu entwickeln, einfach spielerisch mit den Möglichkeiten umzugehen, die einem im Storytelling zur Verfügung stehen. Wir hatten in den letzten Jahren immer wieder das Gefühl, dass viele Filmemacher vornehmlich mit autobiografischen Stoffen arbeiten. Das ist an sich ja vollkommen in Ordnung, aber der Verlauf einer Geschichte und genauso die Entwicklung einer Figur scheinen damit doch oft sehr schnell festgelegt, das Spielerische kommt nicht selten zu kurz.
MWK: Das Storytelling, das Drehbuchschreiben und Geschichtenerzählen wird als Thema auch im Zentrum des kommenden Summit-Programms stehen. Wir wollen da gezielt nach anderen, nach neuen Wegen fragen, nach Möglichkeiten, sich gegen den Strom zu bewegen und etwas völlig anderes zu zeigen. Unterstützt werden wir dabei von Experten, die sich genau damit einen Namen gemacht haben, nämlich krasse und schräge Elemente so geschickt gegen das Erwartbare zu montieren, dass die Filme trotzdem nachvollziehbar bleiben. Pioniere also, die sich getraut haben, auf diese Art und Weise erfolgreich und doch inhaltlich spannend zu erzählen.
Mit mehreren tausend Bewerbungen, die Ihr jährlich seht, seid Ihr stets am Puls einer internationalen aufstrebenden Filmemachergeneration. Rufen Digitalisierung und Medienkonvergenz ständig neue Trends hervor?
MWK: Sicher, es gibt viele neue Entwicklungen zu beobachten, besonders im crossmedialen Bereich. Aber wie auch immer ein Projekt konzipiert und umgesetzt wird: Es geht immer darum, mit einer gut geschriebenen Geschichte zu berühren, es geht um die Kunst des Geschichtenerzählens, und die ist in Zeiten permanenter digitaler Neuentwicklungen und Bestrebungen zur Medienkonvergenz oft einfach in den Hintergrund gerückt. .Wir hingegen wollen unsere Talente ermuntern, sich nicht ablenken zu lassen von medialen Entwicklungen, sondern sich zuvorderst auf das Erzählen zu konzentrieren. Und genau das soll im Zentrum von Berlinale Talents stehen: die Lust am Erzählen.
Und das gilt nicht nur für die Regisseure und Drehbuchautoren?
MWK: Genau, denn am Storytelling sind ja die anderen Gewerke ebenso beteiligt, und so werden wir zum Beispiel in den Workshops und Master Classes zur Kameraarbeit einen Schwerpunkt auf das visuelle Erzählen legen: Wie kann die Kamera auf spielerische Art und Weise neue Erzählimpulse geben? Zwar existiert für Kameraleute kein eigenes Programm, dennoch bieten wir ihnen zahlreiche Praxismodule. Canon zum Beispiel, seit letztem Jahr weiterer Hauptpartner der Berlinale Talents, gibt den Talenten unter anderem die Möglichkeit, sich mit diversem Equipment vertraut zu machen, es auszuprobieren und bedienen zu lernen. Dafür haben wir erstmals mit der „Play-Box“ eine Touch-and-Try-Area geschaffen, in der sich nicht nur Filmemacher und Kameraleute über ihre Praxiserfahrungen austauschen, sondern in der Talente auch selbst mit dem Equipment arbeiten können. So etwa werden Talente einander porträtieren und interviewen können – nebenbei eine schöne Möglichkeit für uns, Stimmung, Diversität und Persönlichkeit der Teilnehmer abzubilden und zu zeigen.
Eine weitere Neuerung besteht in der engeren Zusammenarbeit mit dem European Film Market (EFM) – was genau ist geplant?
CT: Unter dem Titel „Berlinale Talents Market Hub“ haben wir gemeinsam mit dem European Film Market der Berlinale eine neue, von Canon unterstützte Initiative gestartet, dank der wir die kommende Generation der Marktteilnehmer auf einem Stand beim Filmmarkt vorstellen können. Präsent sein werden dort vorrangig die ausgewählten Talente im Bereich Verleih, aber auch den Teilnehmern der Project Labs bieten wir mit ihren Projekten eine Plattform.
MWK: Außerdem werden wir wieder der Verleihung vom Filmförderpreis der Robert Bosch Stiftung für deutsch-arabische Filmprojekte eine Bühne bei den Berlinale Talents bieten. Die Robert Bosch Stiftung fördert mit ihrem Preis die Zusammenarbeit von Nachwuchsproduzenten aus Deutschland und den arabischen Ländern, was sich hervorragend mit unseren Zielen deckt. Die Verleihung bietet also eine gute Gelegenheit, sich über den Wettbewerb der Robert Bosch Stiftung zu informieren, aber vor allem auch, um Talente aus den entsprechenden Regionen zu treffen.