2015 | Berlinale Talents
A Space Discovery
Das Einzigartige an Berlinale Talents als Nachwuchsinitiative ist die Anbindung an die Berlinale und den European Film Market und damit die unmittelbare Vernetzung mit der Filmbranche. Im Interview sprechen die Leiter Christine Tröstrum und Florian Weghorn über die vielfältigen Chancen, die sich daraus für die Talente ergeben und die Herausforderung im Festival-Getümmel nicht unterzugehen.
Florian, Du bist seit Juli 2014 Programmleiter von Berlinale Talents. Wie hast Du Dich eingelebt und eingearbeitet? Sollten sich die Talents und Euer Publikum nach Deinem Einstieg auch auf einen inhaltlichen Wandel einstellen?
FW: Ich sehe meine Aufgabe zunächst vor allem darin, diese wunderbare und sehr facettenreiche Initiative genauestens kennenzulernen. Denn Berlinale Talents unterliegt von Natur aus einem stetigen Wandel, und dieser Dynamik Rechnung zu tragen, habe ich gewissermaßen mit der neuen Rolle geerbt. Einige Veränderungen sind schon angeschoben worden, bevor ich dazukam, wie zum Beispiel die Umwandlung des Post-Production Studios in ein Camera Studio. Generell bleibt es unser Ziel, verstärkt Verbindungen zum übrigen Festival aufzuspüren und Partnerschaften mit den Sektionen zu vertiefen. Durch meine vorherige Position als stellvertretender Leiter bei Generation bin ich mit der kuratorischen Arbeit in der Berlinale ja bereits vertraut. Eine Neuaufgabe wird darin bestehen, diese Erfahrungen zu nutzen und die Möglichkeiten, die Berlinale Talents seinen Teilnehmern bietet, nochmal stärker auch in den Dienst des Festivals zu stellen.
Welche konkreten Kooperationen mit anderen Sektionen und Bereichen der Berlinale sind geplant?
CT: Es war uns immer schon wichtig, die ausgewählten Talente im Festival-Getümmel hervorzuheben. Seit 2013 lassen wir mit Unterstützung von Canon von allen 300 Teilnehmern großformatige Portraits erstellen und mit der Einführung des „Berlinale Talents Market Hub“ auf dem EFM haben wir im letzten Jahr die Relevanz unserer Initiative für die Branche verdeutlicht und bewusst die Aufmerksamkeit der Marktteilnehmer auf die Talente gelenkt. Unser Stand wird auch in diesem Jahr wieder Anlaufstelle und Treffpunkt für Branchen-Vertreter sein, um mit einer jungen Generation von heute Kreativen zusammen zu kommen. Ab 2015 werden wir auch unsere Alumni des „Sales & Distribution Studios“ zu einer Happy Hour auf dem EFM einladen, um sie gezielt mit Partnern aus der Filmindustrie und den diesjährigen Talenten zu verknüpfen. Weitere solche gezielten Branchentreffs werden auch bei uns im Hebbel-Theater eingeführt: Das DTI (Department: Trade and Industry) aus Südafrika ist beispielsweise mit 20 Produzenten auf dem EFM vertreten, die wiederum großes Interesse haben, gezielt Talente aus Ländern kennenzulernen, mit denen Koproduktions-Abkommen bestehen. Im Rahmen der Project Labs bekommen ausgewählte Talente wieder die Möglichkeit, ihre Stoffe der Öffentlichkeit zu präsentieren, auch hierzu sind gezielt Produzenten und Branchenvertreter mit Unterstützung der Sektionen oder des Berlinale Co–Production Market eingeladen.
FW: Was die Verbindungen zu den Programm-Sektionen der Berlinale betrifft, gibt es im dreizehnten Jahr von Berlinale Talents viel Grund zur Freude: Auch dieses Jahr laufen wieder etwa stattliche 80 Filme im Programm der Berlinale, die mit Beteiligung von ehemaligen Talenten entstanden sind. Oft sind das dann auch noch Kooperationsarbeiten mehrerer Talente, die sich zuvor bei Berlinale Talents gefunden haben. Ein gutes Beispiel ist How to Win at Checkers (Every Time) aus dem Panoramaprogramm, in dem vom Produzenten bis zum Locationmanager nicht weniger als sieben ehemalige Talente mitgewirkt haben. Die Verbindungen zum Festival entstehen also auf ganz natürliche Art und Weise und sind eine schöne Bestätigung für den Erfolg der Initiative. Zukünftig stellt sich für uns noch die Herausforderung, die aktuellen Informationen zu über 5.000 Talents-Alumni besser zu ordnen, dass wir sie den Sektionen an die Hand geben können. Aber auch der umgekehrte Prozess ist uns wichtig: Wir sind sehr dankbar für Empfehlungen der Berlinale-Delegierten rund um den Globus, um gezielt vielversprechende Teilnehmer nach Berlin einladen zu können.
CT: Mit dem Berlin-Durban-Express haben wir schon einen konkreten Schritt in diese Richtung gemacht: Zwei deutsche Produzentinnen, die sowohl bei Berlinale Talents waren als auch Filme in der Perspektive Deutsches Kino präsentiert haben, haben in Durban an unserer internationalen Initiative im Juli 2014 teilgenommen. Diese Idee wollen wir weiter ausbauen und eventuell auf weitere internationale Ableger von Berlinale Talents ausweiten.
„2015: A Space Discovery“
Letztes Jahr habt ihr den Schwerpunkt auf das Geschichtenerzählen gelegt. Das diesjährige Motto „2015: A Space Discovery“ widmet sich dem Film als multidimensionalem Raumkunstwerk. Stehen diesmal vornehmlich die gestalterischen Gewerke im Fokus und inwiefern werden technische Entwicklungen eine Rolle spielen?
FW: Zunächst einmal ist das Thema selbst ein offener Raum, in den alles Mögliche hineinpasst, auch natürlich die technischen Entwicklungen im Film. Wir loten aber auch aus, was sonst innerhalb des Raumes passiert, welche Bewegungen stattfinden, aber auch die Entwicklung der Geschichten und das Erschließen von ungewöhnlichen Handlungs- und Erzählräumen durch die Figuren. Ganz ehrlich, was diesen Fokus für uns so ergiebig macht, ist gerade auch seine sprichwörtliche Weite. Die Vokabeln lassen sich leicht austauschen, aus „Raum“ wird „Land“ und aus „Bewegung“ „Migration“ - und es entsteht eine politische Konnotation, die in den Kontext des Filmschaffens passt.
Wir wollen versuchen, den Dialog zwischen Gewerken zu stärken, die sich am Set vielleicht nie gesehen, sich aber dennoch etwas zu sagen haben. Für einen Film wie Gravity beschäftigt sich neben dem Regisseur ein ganzes Dorf an Kreativen mit Fragen des Raumes und zum Beispiel der Bewegung der Schauspieler. So werden wir zu einem Panel Experten zu Gast haben, die sich um George Clooney und Sandra Bullock in der vermeintlichen Schwerelosigkeit gekümmert haben: neben einer Choreographin sind das auch Puppenmacher aus Großbritannien.
CT: In dem neu geschaffenen Camera Studio sprechen wir außerdem über die zukünftige Rolle von Kamerafrauen und -männern. Benötigt man in fünf Jahren überhaupt noch einen kreativen Kopf direkt hinter der Kamera, oder wird alles über Computer im Vorab oder Nachhinein gesteuert? Und welche Voraussetzungen müssen zukünftig für die digitalen Workflows geschaffen werden?
Was ist für das Acting Studio geplant?
FW: Unsere beiden bereits langjährigen Schauspieler-Coaches Jean-Louis Rodrigue und Christoph Conrad waren natürlich mehr als glücklich, als wir ihnen das Thema vorgestellt haben. In ihren Workshops bei Berlinale Talents geht es nicht nur um ein vornehmlich textorientiertes Verständnis von Schauspiel, sondern um das Verhältnis von Körper und Umfeld, sprich die Präsenz im Raum.
CT: Mit dem Jahresthema versuchen wir, Fragen zu formulieren. In der Gestaltung der Antworten sind die Mentoren dann sehr frei. Jean-Louis und Christoph vertreten die Alexander-Technik, bei der es um eine Bewusstwerdung von Körper und Geist geht. Es ist sehr spannend, ihnen bei der Arbeit in den Workshops zuzusehen.
Distribution im arabischen Raum und kreative Netzwerke
Und wie bekommt man die Teilnehmer des Sales & Distribution Studio in das Räume-Thema?
FW: Den ökonomischen Raum haben wir von Anfang an mitgedacht, genau wie die kulturellen Lebensräume, aus denen die Talente kommen und in deren Kontexten sie arbeiten. In Frankreich oder Deutschland werden Filme ganz anders verliehen, als es beispielsweise im arabischen Raum der Fall ist. In letztgenannter Region werden wir uns ansehen, wie sich die Distribution auch unter politischen Einflüssen und gesellschaftlichen Umbrüchen entwickelt hat. Trotz vieler Entwicklungen im Onlinebereich stellen wir dafür einmal wieder die Kinos in den Mittelpunkt: Was für ein Kulturzentrum ist eigentlich mit dem Metropolis Kino in Beirut oder dem Zawya Kino in Kairo aufgebaut worden? Welche Verbindungen und Vertriebswege haben sich daraus zur lokalen Filmkultur, zu anderen Kinoinitiativen und zu den Filmemachern aus Europa und der Welt entwickelt?
Beirut ist der jüngste internationale Ableger von Berlinale Talents. Wie wurde die Initiative in der arabischen Welt aufgenommen?
CT: Die Robert Bosch Stiftung verleiht seit zwei Jahren einen Förderpreis für deutsch-arabische Filmprojekte im Rahmen von Berlinale Talents. In der Zusammenarbeit haben wir festgestellt, dass es im arabischen Raum in Bezug auf Film an einer gezielten Förderung von bestimmen Gewerken mangelt. Aus diesem Grund haben wir uns ganz speziell auf die drei Bereiche Ton, Schnitt und Kamera fokussiert und mit nur 20 Talenten sehr intensiv und konzentriert in Beirut gearbeitet. Anders als die Initiativen in Guadalajara, Buenos Aires, Durban, Sarajevo und Tokio ist Talents Beirut auch nicht an ein großes internationales Festival geknüpft, sondern mit Unterstützung vom Goethe-Institut und dem Metropolis Kino in Beirut entstanden.
Kreativität entsteht ja nur selten auf Abruf. Welche Voraussetzungen schafft ihr für eine ungezwungene, produktive, künstlerische Atmosphäre?
FW: Das Besondere an vielen Veranstaltungen bei Berlinale Talents ist, dass sie sehr spezifisch sind. Es geht uns nicht um die Aufführung von Allgemeinwissen oder ein „schön, dass wir mal drüber geredet haben“. Egal, ob du einen Workshop mit zehn Teilnehmern oder eine Veranstaltung mit 500 Besuchern im HAU1 nimmst - wir versuchen im Vorab konkrete Herausforderungen zu lokalisieren oder im Gespräch anzustoßen. Und auch die Talente kommen ja mit sehr spezifischen Interessen nach Berlin. Manchmal genügt es schon, wenn man nochmal gemeinsam die richtigen Fragen formuliert. Die Antworten entwickeln die Talente dann selbst.
CT: Bei all dem Trubel bietet Berlinale Talents seinen Teilnehmern trotzdem eine kreative Auszeit von ihrem eigenen Schaffen. Wir versuchen sie in ihrer Arbeit zu stimulieren und in ihrem eigenen Weg zu bestärken.