Panorama

18.01.2023
Tracking the Unseen. Filme als Werkzeuge des Widerstands

Nathan Stewart-Jarrett in Femme von Sam H. Freeman und Ng Choon Ping

Was tun, wenn die Welt in Flammen steht? Diese Frage stellen sich viele der Filmschaffenden des diesjährigen Panorama-Programms. „Inhalt und Form sind die Boten ihrer filmischen Antworten auf ein komplexes Zeitgeschehen, auf individuelle Erschütterungen. Die Kamera fungiert als Werkzeug, die Inspiration als Waffe. Es entstehen Bilder, die Leerstellen füllen und wichtige (Gegen-)Positionen in Gesellschaften darstellen,” kommentiert der Sektionsleiter Michael Stütz.

In And, Towards Happy Alleys nimmt uns die indische Regisseurin Sreemoyee Singh mit nach Teheran. Über mehrere Jahre hinweg entstand dort nicht nur ein Liebesbrief an das iranische Kino, sondern auch eine unverstellte, entwaffnende Ode an das aufbegehrende iranische Volk, seine Künstler*innen und Frauen an vorderster Front der Proteste. Apolline Traoré findet in ihrem Spielfilm Sira Bilder für das Schicksal verschleppter Frauen in der Sahelzone. Ihre Titelheldin trotzt dem blutigen Terror und schlägt die brutalen Männer mit ihren eigenen Waffen. Ghaath von Chhatrapal Ninawe setzt in seiner schonungslosen Erzählung über den Bürgerkrieg zwischen den kommunistischen Naxaliten und der zentralen indischen Regierung ein Zeichen für das mutige, politische Kino Indiens.

Das queere Kino ist in diesem Jahr prominent vertreten: Die zweifach für einen Grammy nominierte Musikproduzentin D. Smith packte nach diversen Absagen kurzerhand selbst an, realisierte ihren Film Kokomo City und wurde so zur Regiedebütantin. In stylischen Schwarz-Weiß-Bildern, unterlegt mit einem eklektischen Soundtrack, teilen vier Schwarze trans* Sexarbeiter*innen aus New York und Georgia ihre Erfahrungen mit Witz, Weisheit und Kompromisslosigkeit. Das Londoner Regieduo Sam H. Freeman und Ng Choon Ping inszeniert in seinem Langfilmdebüt Femme einen gewaltigen filmischen Befreiungsschlag und einen furiosen queeren Rachethriller. In den Hauptrollen brillieren Nathan Stewart-Jarrett und George MacKay. Auch Sacha Polaks Silver Haze ist in London angesiedelt. In ihrer zweiten Zusammenarbeit mit Schauspielerin Vicky Knight verortet Polak versiert soziale Herkunft, persönliches Trauma und die Suche nach Zugehörigkeit in einem städtischen Raum der krassen Gegensätze.

Gleich drei Filme laden in diesem Jahr in den Club als sozialer Ort, als Raum der zeitlosen Verführung und scheinbar endlosen Möglichkeiten: Patric Chihas hypnotisierende Club-Elegie La Bête dans la jungle, Anthony Lapias Film After und Hannes Hirschs Berlin-Metamorphose Drifter. Die Filme könnten stilistisch und erzählerisch nicht unterschiedlicher sein, finden aber einen gemeinsamen Nenner zwischen Beats, Hedonismus und Sich-selbst-Verlieren.

Ein weiterer deutscher Film im Programm ist İlker Çataks Das Lehrerzimmer mit European Shooting Star Leonie Benesch. Er nimmt den von Machtspielen vergifteten Mikrokosmos eines Gymnasiums unter die Lupe und legt in seinem dramaturgisch dichten Spielfilm ein gesellschaftliches Minenfeld frei. Den dritten deutschen Beitrag liefert Autorin und Filmemacherin Frauke Finsterwalder. Zehn Jahre nach Finsterworld schenkt sie uns mit Sisi & Ich eine feministische Neuinterpretation des Mythos der österreichisch-ungarischen Kaiserin aus der Sicht ihrer letzten Wegbegleiterin und Bewunderin, Irma Sztáray. Ein Film voller Überraschungen und gegen den Strich gebürsteter Lesarten. Susanne Wolff und Sandra Hüller begeistern als absurdes, bewegendes und anarchisches Duo.

Beim 37. TEDDY AWARD, dem ältesten und bedeutendsten queeren Filmpreis der Welt, wird in diesem Jahr der Special TEDDY für besondere Verdienste und Leistungen rund um das queere Kino an den queeren Filmpreis des Molodist Film Festivals in Kyiv vergeben – den Sunny Bunny Award. Der ukrainische Schwesterpreis des TEDDY AWARD wurde 2001 ins Leben gerufen und ist das größte und wichtigste kulturelle LGBTQI+ Ereignis des Landes.

Mutig, unverstellt und gegenwärtig präsentieren sich die Filme des Jahrgangs 2023. Am 16. Februar werden sich im Zoo Palast zum ersten Mal die Türen des Panoramas öffnen. Mit La Sirène von Sepideh Farsi bringen wir einen einnehmenden sowie politisch dringlichen Film nach Berlin, der die Weichen für die restlichen zehn Tage mit insgesamt 35 Filmen stellen wird. Wir freuen uns auf die Filmemacher*innen, die Branche und euch, das Publikum – wiedervereint in den dunklen Kinosälen dieser Stadt.

Übersicht der veröffentlichten Filmtitel des Panoramas.


Presseabteilung
18. Januar 2023