2024 | Berlinale Talents
Film(sprache) als Lieblingssprache
Die Berlinale Talents laden zum Gespräch ein. Programmleiter Florian Weghorn und Projektleiterin Nikola Joetze stellen im Interview das Programm 2024 vor und sprechen über die Bedeutung von guter Kommunikation und gegenseitigem Verständnis für die filmische Zusammenarbeit.
Euer Thema dieses Jahr lautet „Common Tongues – Speaking out in the Language of Cinema“. Was genau ist diese gemeinsame Filmsprache und wie wird sie bei Berlinale Talents gesprochen?
Florian Weghorn: Wir suchen jedes Jahr ein Thema, das uns als Berlinale Talents selbst betrifft und gleichzeitig das Filmschaffen an sich anspricht. Wenn man mehr als 200 Menschen aus 68 Ländern zusammenbringt, ist die Sprache natürlich ein ganz wesentlicher und auch zentraler Motor der Verständigung. Das Thema soll uns herausfordern und die Augen öffnen für diesen Umstand, den wir vielleicht für selbstverständlich genommen haben. Durch die Auseinandersetzung wollen wir das kritisch hinterfragen oder auch gemeinsam fortentwickeln. Wenn man an Sprache denkt, denkt man zunächst einmal an die verbale Sprache und an Verständigung, Vermittlung und auch das Verbinden untereinander. Das sind ganz zentrale Aspekte, die Berlinale Talents grundsätzlich ausmachen. Und die Filmsprache gehört als unsere größte und beste Lieblingssprache aller dazu.
Nikola Joetze: Das diesjährige Thema ist bewusst sehr vielschichtig auslegbar. „Common“ bedeutet auf der einen Seite „zusammen“ und steht für Community, könnte aber auch einen „kleinsten gemeinsamen Nenner“ implizieren. Diese Vielschichtigkeit ist auch das, was das diesjährige Key Visual so spannend macht: „Sind es Korallen? Sind es Zungen. Sind es Augen?“ Es gibt nicht nur eine klare Aussage, sondern öffnet einen Dialog über dessen potentielle Bedeutungen. Was heißt „Speaking out“? Es bedeutet im Grunde, wieder ins Gespräch zu kommen, seine Meinung zu äußern, zu diskutieren, vielleicht auch einen neuen Blickwinkel einzunehmen. Und so wird dieses sehr einfache Thema plötzlich auf so vielen Ebenen lebendig. Wir wünschen uns mit den Talenten ganz viele tolle Gespräche auf verschiedenen Ebenen und freuen uns auf das, was in diesem Prozess wieder neu geschaffen wird.
Welche Rolle spielt gemeinsame Sprache für eine gute Zusammenarbeit an einem Filmset und wie setzt sich Berlinale Talents mit diesem Aspekt auseinander?
FW: Die Verständigung am Filmset setzt natürlich ein Einverständnis im Sinne des Wortes voraus. Sonst herrschen keine guten Arbeitsbedingungen, die sehr wahrscheinlich auch zu keinen guten Ergebnissen führen. Angrenzend an dieses Thema wird es zum Beispiel im öffentlichen Programm einen Talk mit Regisseur Ira Sachs (Passages, Panorama 2023) und Regisseurin Eliza Hittman (Never Rarely Sometimes Always, Wettbewerb 2020) geben. Mit ihren Filmen und langjährigen Erfahrungen sind beide bestimmt sehr interessante Gesprächspartner*innen. Heutzutage geht es viel um den Umgang mit sehr intimen und körperlichen Szenen am Set. Wie schafft man es, dass sich die Schauspieler*innen damit wohlfühlen? Welche Sprache muss man sprechen? Zentral bei Berlinale Talents ist immer, dass die Gäste bei den Talenten, aber auch bei dem Publikum, das sich vielleicht gar nicht mit der üblichen Filmsprache an einem Set auskennt, anknüpfen und sich das Wissen im Raum multipliziert.
NJ: Es gibt bei uns auch das Programm, das wirklich nur für die Talente gemacht wird und das auf ganz unterschiedlichen Ebenen kommuniziert. Seien es die Talent Circles, in denen über Themen des Filmemachens in kleineren Runden gesprochen wird oder die Labs, Stations oder auch die Talent Tanks, wo wirklich die Talente komplett unter sich sind und es eher um Fragen, wie: Wer bin ich heute als Filmemacher*in? Wie gehe ich in diesen Raum und wie fülle und gestalte ich diesen? Wie will ich den anderen als Filmemacher*in in der Zukunft begegnen?, geht.
Einen gemeinsamen Nenner finden – das wirft die Frage nach Inklusivität auf. Eine gemeinsame Sprache beinhaltet eventuell viel, das als vorgegeben angenommen und weitergegeben wird. Wie spiegelt sich dieser Konflikt in eurem Programm wider und wo seht ihr noch Hürden, die abgebaut werden müssen?
FW: Das ist ein ganz zentraler Punkt, vielleicht sogar der zentralste, wenn man sich über Verständigung, Vermittlung oder das Entwickeln von Sprache unterhält. Wir müssen uns über die Verhältnisse und die negativen und positiven Kräfte, die darauf einwirken, bewusst sein. Das ist in bestimmten Situationen teilweise ganz simpel zu beantworten: Wer das Mikrofon in der Hand hat, kann sprechen, die anderen müssen zuhören. Das sind Machtverhältnisse, die wir oft tolerieren und akzeptieren, weil sie unseren Alltag organisieren, die aber nicht ausgenutzt werden dürfen. Und das ist im filmischen Arbeiten genauso. Worüber ich spreche und was ich zur Sprache bringe, ist nicht nur inhaltlich interessant, sondern auch von der Frage her, ob ich überhaupt die Einladung und vielleicht auch manchmal die Berechtigung habe, zu sprechen. Wir vertiefen diese Thematik im Gespräch mit zwei Filmen aus dem aus dem Berlinale Special (Das leere Grab) und aus dem Wettbewerb (Dahomey). Zwei dokumentarische Arbeiten, die sich mit Kolonialverbrechen auf dem afrikanischen Kontinent auseinandersetzen. Auch für filmische Perspektiven ist die Frage entscheidend: Geben wir jemandem eine Stimme oder hören wir Menschen zu, die bereits eine Stimme haben?
NJ: Eigentlich würde ich mir wünschen, dass es so etwas Utopisches gäbe wie einen Babelfisch, den man sich ins Ohr setzt und alle können mit ihren „Native Tongues“ sprechen, mit denen wir uns am wohlsten fühlen, alles verstehen, aber auch verstanden werden. Stattdessen reden wir alle auf Englisch als größten gemeinsamen Nenner. Deshalb gibt es in Bezug auf Inklusion bei Berlinale Talents auch drei Veranstaltungen, die zwar übersetzt werden, aber bei denen auf der Bühne Französisch oder Mandarin gesprochen wird. In thematischer Hinsicht kann uns so auch der Akt der Übersetzung selbst nochmal gegenwärtiger werden, ob das, was man hört und sagt und was wir für selbstverständlich nehmen, in allen Sprachen das Gleiche bedeutet. Ziemlich sicher nicht, das ist spannend!
NJ: Zusätzlich beschäftigen wir uns im Sinne der Verständigung damit, wie wir zum Beispiel bestimmte Programmpunkte so auf dem Handy transportieren können, dass sie lesbar sind und somit noch mal für andere Menschen zugänglich sind. Auch bietet das Livestreaming im Netz wieder die Möglichkeit, Gespräche sofort schriftlich übersetzen zu lassen und so einen weiteren Zugang zu generieren, auch wenn man nicht vor Ort sein kann. Aber ich glaube, dass mit Blick auf unsere Talente aus 68 Länder und den verschiedenen Sprachen, so ein Babelfisch eigentlich so das Tollste wäre, aber wir haben leider noch keine Lösung dafür gefunden.
Die Videostreams und Aufzeichnungen sind eine schöne Ergänzung, die vielleicht auch gerade so eine Hürde abbauen. Welche Veranstaltungen werden gezeigt, worauf können sich Film-Fans freuen, die es nicht nach Berlin schaffen werden?
FW: Auch dieses Jahr werden wir die großen Veranstaltungen mit der internationalen Jury und die mit Martin Scorsese, dem Ehrenbären-Gast, ausstrahlen. Es ist eine super Möglichkeit, Scorseses unglaubliches Werk und Schaffen dem Berliner Publikum näher zu bringen und mit ihm ins Gespräch zu kommen. Die Moderation übernimmt eine ebenfalls brillante Filmschaffende, Joanna Hogg. Martin Scorsese und sie kennen sich gut, und sie bringt auch eine ganz interessante eigene Perspektive in dieses Gespräch.
Auch möchten wir die oben erwähnte Veranstaltung zur Erinnerungskultur und eine sicher intensive Diskussion mit Dokumentarfilmschaffenden aus der Ukraine aufzeichnen und im Netz zugänglich machen. In solchen Veranstaltungen tritt noch etwas ganz Anderes zutage, nämlich unser Auftrag, dem offenen Diskurs mit den Gästen des Festivals einen Raum zu bieten. Gerade jetzt, in diesen Zeiten, ist dieser Aspekt von zentraler Bedeutung von Festivals geworden.
Welche Stimmen (Talente) kommen dieses Jahr nach Berlin?
NJ: Es fällt mir immer schwer, einzelne herauszuziehen. Wir haben sicherlich viele herausragende Talente, wie zum Beispiel Anna Hints, die Regisseurin von Smoke, Sauna, Sisterhood, die nebn ihrem Editor Tushar Prakash als Talent teilnehmen wird. Oder auch Sophie Linnenbaum, die Regisseurin von The Ordinaries.
FW: Die 202 Teilnehmer*innen sind unter den 4000 Bewerbungen gefunden worden. Und das Ziel von Berlinale Talents ist keine Auswahl im elitären Sinne, sondern wir gehen davon aus, dass diese Menschen alle bereits tolle Talente sind. Wir hoffen, dass durch die Kombination vieler verschiedener Talente etwas Neues, Unbekanntes, Unerwartetes entsteht. Der Austausch, die Gemeinschaft und auch das, was eben erst durch die Verbindung einzelner Menschen zustande kommt: neue Projekte, neue Kooperationen, Freundschaften oder einfach ein Gefühl von Zugehörigkeit.
117 Talents-Alumni sind 2024 mit ihren neuen Filmen im Berlinale-Programm vertreten. In welcher Form werden Alumni auch bei euch vorbeischauen?
FW: Es wird keinen Tag geben, an dem nicht mindestens fünf Alumni irgendwo in den Programmen oder in den Talent Circles oder in einem Workshop auftauchen. Unsere Beziehung mit der Community ist eng und geht auch über das Festival hinaus: Inzwischen sind viele Studiokoordinator*innen, die bei uns die fachspezifischen Workshops leiten, auch Alumni. Wir sind ein ganz gutes Arbeitgeber*innennetzwerk geworden!
NJ: Daran lässt sich auch erkennen, dass eine starke Verbundenheit durch Berlinale Talents entsteht. Man lernt sich an diesen sechs Tagen nicht einfach nur kennen, sondern da wächst ein Communitygefühl sowie der Wunsch sich gegenseitig zu helfen, zu unterstützen. Und das findet auch in diesen ganzen Räumen statt, die es bei Berlinale Talents zwischen den offiziellen Programmpunkten gibt.
Wie spiegeln sich Veränderungen in der Filmindustrie in Euren Workshops und Veranstaltung wider? Diese Edition folgt einem Streik der Drehbuchautor*innen und Schauspieler*innen in den USA, der u.a. den neuen Einfluss von KI-Technologien betraf. Wird das von Euch aufgegriffen? Welche anderen Veränderungen werden adressiert?
FW: Wir stellen uns die Frage nach „Artistic Intelligence“, das heißt nähern uns den neuen Technologien aus Perspektive derer, die selber kreativ sind und nun damit umgehen dürfen oder auch müssen. Das kann bei uns in den Workshops zum Medienrecht zur Sprache kommen, und da käme man dann auch auf die Forderungen aus den Streiks zurück. Aber uns interessiert genauso, ob Filmschaffende nicht längst schon mit den Prinzipien der KI arbeiten: Gedanken vieler Menschen kombinieren und daraus neue Welten schaffen. Das ist nicht soweit weg vom Filmemachen, oder?
NJ: Aber natürlich ist die Frage nach KI auch technisch spannend. Wie kann man damit kreative, neue Formen erzeugen? Wie kann man sozusagen in der Kombination mit KI neue Bilder, zum Beispiel im Production Design oder für die Kamerarbeit, schaffen? Ich bin gespannt, was die Talente an Ideen und Möglichkeiten mitbringen. In einem Circle haben wir zum Beispiel einen Spezialisten von Arte, der erkundet, wie man KI in der aktuellen Bildsprache einsetzen kann.
FW: Allerdings gibt es in dieser Welt gerade auch andere Herausforderungen, die unsere Talente genauso oder vielleicht noch mehr bewegen. Unsere Fürsorge, die das Programm im kuratorischen Sinne für seine Beteiligten, aber auch für das Publikum und auch für uns selber hat, lenken wir stärker auf das Persönliche, das Menschliche und auf das Wahrgenommen-Werden als auf die allzu technischen Fragen.
Letztes Jahr zeigte Euer Gast Todd Field gemeinsam mit der Cast und Crew seines Films TÁR (Cate Blanchett, Nina Hoss, Sophie Kauer und Hildur Guðnadóttir) den spielfilmergänzenden Kurzfilm The Fundraiser bei seinem Talk. Er betonte die besondere Atmosphäre der Veranstaltung und führte den Film seitdem keinem anderen Publikum vor. Wie war dieser Moment für Euch und was macht Berlinale Talents zu einem Ort für eben solche besonderen Momente?
FW: Unabhängig vom Bekanntheitsgrad sagen wir unseren Gästen: „Du kannst bei uns ein ‚Meeting Among Colleagues‘ erwarten und mit dem Publikum ein ‚Meeting with Cinema Lovers‘ dazu bekommen. Wir erwarten keine Masterclass, keine Lecture und Du darfst auch gerne mal eine Frage, statt einer Antwort haben.“ Sobald die Gäste dann auf der Bühne sind, spüren sie diese besondere Beziehung. Und dann entsteht etwas ganz Magisches. Man feiert gemeinsam Kino und oder man debattiert. Das ist nicht immer nur lustig, aber immer bereichernd. Und ich glaube, so war es bei TÁR auch. Cast und Crew haben gemerkt, dass sie da noch mal was bieten können, das sie an anderer Stelle vielleicht nicht gemacht hätten. Cate Blanchett hat sehr deutlich gemacht: Das bleibt jetzt nur unter uns!
Wir sagen immer, dass wir mehr Theater als Film machen. Wir schaffen Räume, über deren Rahmenbedingungen wir uns sehr viel Gedanken gemacht haben. Dadurch sind wir im Inneren relativ frei für das, was sich dann entwickelt. Die TEDDY Talents Talks sind ein ganz gutes Beispiel dafür, da sie diese Idee selbst zum Erlebnis machen. Sie bieten Visionär*innen des queeren Kinos einen Raum, ihre Ansichten und Thesen nebeneinander zu stellen und erstmal zu beobachten wie sie sich im Raum ausbreiten. Wie das Publikum und wie die Menschen, die da sprechen, dann untereinander darauf reagieren, ist jedes Mal neu und eine einmalige Erfahrung.