2024 | Allgemeines
Die Kunst des Filmplakats
Vom 3. November bis zum 3. März 2024 gab es im Kulturforum die beeindruckende Sonderausstellung „Großes Kino - Filmplakate aller Zeiten“ der Kunstbibliothek in Zusammenarbeit mit den Internationalen Filmfestspielen Berlin und der Deutschen Kinemathek zu sehen. Als Teil der Ausstellung wurden auch die Lieblingsplakate von 26 Gästen, unter ihnen der Künstlerische Leiter der Berlinale Carlo Chatrian und die Geschäftsführerin Mariëtte Rissenbeek, präsentiert.
Im Interview sprechen die Kuratorinnen Christina Thomson, Leiterin der Sammlung Grafikdesign, und Christina Dembny, wissenschaftliche Projektmitarbeiterin, über Schwerpunkte in der Sammlung, echte Raritäten und das perfekte Filmplakat.
Wie entstand die Idee für die Ausstellung?
CT: Filmplakate sind ein wichtiger Teil unserer Sammlung für Grafikdesign an der Kunstbibliothek. Es gab schon früher Kooperationen – zum Beispiel mit der Berlinale -, die zu Ausstellungen geführt haben. Die Frage, ob und wie wir daran anknüpfen und die Sammlung im 21. Jahrhundert weiterführen wollen, war ein Anlass für die Ausstellung. Hinzu kam meine große Liebe zu dem zwei mal drei Meter großen Metropolis-Plakat. Eine Ausstellung rund um dieses Juwel von einem Plakat zu stricken, das hatte ich schon lange vor.
CD: Dass „Großes Kino“ eine reine Plakatausstellung werden würde, hat sich über die Zeit herauskristallisiert. Der Fokus liegt auf unserer eigenen Sammlung, die rund 5.000 Filmplakate enthält – ein Schatz, der unbedingt präsentiert werden wollte.
Für die Auswahl der Plakate habt Ihr Euch zudem Unterstützung geholt…
CD: Genau. Wir kommen beide aus der Kunstgeschichte und wollten möglichst viele Leute aus anderen Branchen beteiligen. Zusammen mit Mariëtte Rissenbeek haben wir Personen aus Film, Fernsehen, Kino und Grafikdesign gebeten, ein Lieblingsplakat zu benennen. Das Konzept der Ausstellung hat sich dann auch in der Zusammenarbeit mit den verschiedenen Akteur*innen weiterentwickelt. Ein extrem partizipativer Prozess.
CT: Wir fanden diesen geteilten Blick auf unsere Sammlung interessanter und zeitgemäßer als nur unseren eigenen. Nun sind es 26 Gäste, die jeweils ein tolles Plakat ausgewählt haben und ihre Wahl in kurzen Statements erläutern. Die O-Töne sind sowohl akustisch in der Ausstellung zu hören als auch im Katalog in Schriftform zu finden.
Mit Blick auf die Kunstgeschichte, in der sich der Film erst einen Platz im offiziellen Kanon erkämpfen musste, überrascht es, dass die Sammlung auch Werke aus den Anfangstagen des Mediums umfasst. Wie kam es, dass die Kunstbibliothek bereits so früh Filmplakate als bewahrenswert erachtete?
CT: Die Kunstbibliothek wurde vor über 150 Jahre als Bibliothek der Lehranstalt des Kunstgewerbemuseums gegründet. Grafikdesign – zu dem eben auch Filmplakate zählen - wurde von Beginn an gesammelt. Die ersten Filmplakate kamen in den 1890er Jahren in die Sammlung, ab den 1920er Jahren wurde auch rückwirkend gesammelt. Und so geht es durch das ganze Jahrhundert. Der Fokus lag auf Drucktechnik und -ästhetik, auf Gestaltungsmitteln und auch auf einzelnen Namen. Berühmte Gestalter*innen haben auch für den Film gearbeitet. Julius Klinger zum Beispiel hat für Hollerbaum und Schmidt entworfen, ein berühmtes Druckhaus und Werbeinstitut. Über den Aspekt des Grafikdesigns sind die Plakate in die Sammlung gekommen. Dabei ging es selten um den Inhalt des Films, sondern vielmehr um die Form, die Gestaltung, die Technik.
CD: So entstanden bestimmte Schwerpunkte in der Sammlung, zum Beispiel auf die 1920er Jahre, in denen es in Deutschland eine überragende Grafikdesignszene mit vielen berühmten Gestalter*innen gab. Das versuchen wir heute fortzuführen. Auch wenn wir merken, dass es mitunter schwerfällt, die eigenen Lieblingsfilme außen vor zu lassen, wenn ihre Werbung aus gestalterischer Sicht nicht sammlungsrelevant ist. Ein Stück weit haben wir die Kriterien aufgeweicht - neben der Person und der Gestaltung kann auch das Thema des Films eine Rolle spielen. Ein aktuelles Beispiel ist das Thema „Frauen im Iran“, das mit drei Beispielen in der Ausstellung vertreten ist. Wir versuchen möglichst divers und international zu sammeln und so einen breiten Überblick zu geben, aber immer auf Basis der grafischen Gestaltung.
Hatten filmgeschichtliche Entwicklungen wie der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm einen Einfluss? Die frühen Plakate wirken sehr viel internationaler ausgerichtet, weil Sprache ja bis zum Siegeszug des Tonfilms kaum eine Rolle spielte. Später scheint sich der Fokus der Sammlung ein Stück weit auf den deutschsprachigen Raum zu verschieben…
CD: Das ist richtig. Die Sammlung hat einen Schwerpunkt auf Deutschland. Es gibt aber auch Plakate aus anderen Ländern, zum Beispiel aus Polen haben wir sehr viel, weil die polnische Plakatkunst schon früh einen ausgezeichneten Ruf in der Gestaltungsszene hatte.
CT: Und, was man nicht vergessen darf: Es hat auch mit der Zweigleisigkeit der Sammlung in einem geteilten Deutschland zu tun. In den vier Jahrzehnten, in denen es die DDR und die BRD gab und die Museen geteilt waren, wurden auf beiden Seiten der Mauer Plakate gesammelt, dann nach 1989 zusammengeführt. Das spiegelt sich natürlich in der Sammlung: In der DDR sammelte man – neben Designs aus dem eigenen Land - vor allem Plakate zu Filmen, die in den Kinos der Ostblockländer gefeatured wurden: ungarische, tschechische, polnische und russische. Im Westen wurde stark im Umfeld der Festivals gesammelt, der Neue Deutsche Film als Kulturphänomen ist immens wichtig. Um auf Deine Frage zurückzukommen: Die frühesten Plakate, die wir in der Ausstellung haben, sind tatsächlich nicht deutsch. Bis Mitte der 1910er Jahre ist Filmwerbung eine komplett internationale Angelegenheit, wobei die ersten Filmplakate oft französisch sind. Oft hatten sie nur einen Titel aufgedruckt, sonst gar keine Sprache, und funktionieren wunderbar. Später diversifiziert es sich, aber auch das ist scheinbar nur eine Phase. Die Plakate der letzten 20 Jahre lassen sich kaum mehr national differenzieren. Die Filmbranche und ihr Art Work sind ein sehr internationales Geschäft. Man muss sich diesem Thema ohne Ländergrenzen im Kopf nähern. Sonst kommt man nicht weit.
Mit Blick auf die immense Vielfalt an – offiziellen und inoffiziellen - Plakatvarianten zu populären Filmen, die es im Internet zu finden gibt, stellt sich die Frage, wie man Filmplakate eigentlich sammelt. Gibt es Differenzkriterien für das „Originalplakat“?
CT: Auch hier geht es stets um die Qualität des Designs. Wir sind kein dokumentarisches Filmarchiv, und damit frei, unsere eigenen Kriterien anzuwenden. Wenn ein Teaser-Plakat gestalterisch interessanter ist als das offizielle Plakat des Verleihs, nehmen wir den Teaser in die Sammlung auf. Oder das Festivalplakat. Oder bei älteren Filmen die Plakate, die zu Wiederaufführungen entstanden sind. In den 1960er und 70er Jahren haben die Verleiher Atlas und Kirchner avantgardistische Grafiker*innen engagiert, um neue Plakate für alte Filme zu entwerfen, die aus grafischer Sicht oft spannender sind als ihr Erstaufführungsplakat.
CD: Fast alle Plakate in der Ausstellung sind insofern Originale, als dass sie gedruckt wurden, als der Film erschien. Aber auch hier gibt es Unterschiede, etwa zwischen dem Plakat zur Uraufführung und dem der Erstaufführung. Als Planet of the Apes 1968 international in den Kinos startete, gestaltete jedes Land ein eigenes Plakat - und jedes von ihnen ist ein Original.
Und trotzdem geben Sammler*innen bis zu 700.000 Dollar für ein Filmplakat aus. Also einen gewissen Fetisch des „Originalen“ scheint es zu geben…
CT: Solche Preise haben zum einen mit Kult um bestimmte Filme zu tun, zum anderen mit Rarität, also mit Verfügbarkeit. Unser Metropolis-Plakat ist die große französische Version, die es wahrscheinlich nur noch einmal gibt. Wir recherchieren seit 20 Jahren und haben noch kein zweites Exemplar gefunden. Zudem ist es extrem ikonisch, was den Wert zusätzlich steigert. Die Fragen, wie man sammelt, woher die Plakate kommen und was als Original identifiziert wird, hat sich im 21. Jahrhundert natürlich stark verändert. Im digitalen Zeitalter entstehen ganz neue Regeln dafür, was ein Original ausmacht und wie man an ein Druckexemplar kommt, weil das „Original“ nicht mehr zwingend auf Papier sein muss. Das wurde uns während der Vorbereitungen für die Ausstellung sehr bewusst.
Wie kommt ihr dennoch an die Plakate?
CT: Üblicherweise treten wir entweder an die Gestalter*innen, die Agenturen oder die Verleiher heran. Meist bekommen wir dann etwas Digitales zugeschickt, das sich oft von dem unterscheidet, was wir uns vorgestellt hatten. Deshalb haben wir uns in vielen Fällen entschieden, zum Ursprung des Key Visuals zurückzufinden, ohne die Werbeslogans und Zitate, die später hinzugekommen sind. Heute wird ein Key Visual entwickelt und beständig variiert, um es für verschiedene Medien und Formate zu adaptieren. Allerdings verwässert Filmwerbung sich meiner Meinung nach, wenn sie versucht, sich allem und allen anzupassen.
CD: Streamingdienste personalisieren bekanntermaßen ihre Werbung. Bei Netflix passt sich das Vorschaubild den Vorlieben der Nutzer*innen an. Je nachdem, was ich in der Vergangenheit gesehen habe, bekomme ich entweder eine romantische oder eine Actionszene zu sehen, obwohl es derselbe Film ist. Also eine totale Umkehr der Idee eines Filmplakates, das ja versucht, einen ganzen Film in einem Bild zu komprimieren und damit möglichst viele Leute anzusprechen.
CT: Die Ausstellung stellt verschiedene Ansätze des Kommunikationsdesigns vor. Da ist zum einen die individualisierte Werbestrategie. Jedes Land arbeitet anders und mutet den potenziellen Besucher*innen unterschiedliche visuelle Abstraktionsfähigkeiten zu. Wir haben zum Beispiel einen Sammler ausfindig gemacht, der 60 Planet of the Apes-Erstaufführungsplakate aus 40 verschiedenen Ländern besitzt. Ein extremes Beispiel der Diversifizierung. Strategie Zwei will eine Vereinheitlichung auf ein einziges Visual erreichen, das sich durch die weltweite Kampagne zieht. The Rocky Horror Picture Show, Star Wars oder James Bond sind gute Beispiele dafür, wie man in den 1960er Jahren beginnt, den Film als Marke zu begreifen und die visuelle Kommunikation überall gleich zu gestalten. In den 1980ern und 90ern wird diese Methode noch weiter entwickelt. Jeder kennt das Plakat zu The Godfather, wo der Filmtitel wie eine Marke erscheint. Oder auch die Logos von Batman, Ghostbusters oder Jurassic Park - bis hin zu Barbie.
Wie entwickelt sich die Ästhetik des Filmplakats?
CT: Prinzipiell weniger entlang der Filminhalte als der technischen Möglichkeiten. Die Lithografie schafft als erstes Medium des Massendrucks zum Beispiel einen anderen Stil als der spätere Offset-oder der Digitaldruck. Vergleichbar bestimmend sind die Medien der Gestaltung: zu Beginn prägt noch die künstlerische Hand über Zeichnung und Malerei die Ästhetik. In den 1920er Jahren kommen erstmals Fotoelemente hinzu, die Collage als Mixtur aus Grafik und Fotografie entsteht. Das Digitale schafft wiederum eine eigene Ästhetik. Die 1990er Jahre sind ja relativ gruselig. Plötzlich denken alle, sie könnten ihre Plakate mit Hilfe des Computers selbst entwerfen. Ich würde die ästhetische Entwicklung stark an den technischen und künstlerischen Möglichkeiten der jeweiligen Zeit festmachen.
CD: Wobei sich einzelne Gestaltungsmerkmale auch abseits der Technik durch die Geschichte ziehen. So gibt es schon in den frühen 1900er- und 1910er-Jahren genretypische Motive. Auf Plakaten für Abenteuerfilme sind damals schon Actionszenen zu sehen. Auch die „schwebenden Köpfe“, wie man sie von Marvel-Plakaten kennt, gibt es schon seit den 1920ern. Sie sind eigentlich immer gleich gestaltet, mit Porträts, bei denen die Hauptperson am größten zu sehen ist, und je „weniger wichtig“ die Person ist, desto kleiner wird sie dargestellt. Ergänzt wird das mit einer Actionszene und dem Filmtitel. Das ist ein ganz klassischer Aufbau.
Was sind Eure persönlichen Lieblingsplakate?
CT: Metropolis ist und bleibt natürlich mein absolutes Lieblingsplakat, weil darin perfekt zum Ausdruck kommt, was ein gutes Filmplakat ausmacht. Nämlich dass ein einziges Bild die Erzählung, Handlung und Stimmung eines Films erfahrbar machen kann. Und das, obwohl keine Menschen darauf zu sehen sind. Von den Zeitgenossen würde ich Madres paralelas von Pedro Almodóvar nennen. Gestaltet wurde es von dem Spanier Javier Jaén, der eine schlichte Grafik zu einer visuellen Sensation macht und mit wenigen Mitteln ein ganz einprägsames Bild schafft. Das Teaser-Plakat zeigt eine Brustwarze in der Form eines Auges und eine Träne, die wie ein Milchtropfen anmutet. Extrem prägnant. In den Sozialen Medien hat es einen Shitstorm ausgelöst. Für die offizielle Werbung entwarf Jaén eine zweiten Variante, in der sich die beiden Hauptdarstellerinnen umarmen. Ihre Körper sind mit schwarz-weißen Strichen dargestellt, die ineinander verschmelzen aber gleichzeitig gegeneinander laufen. Für mich ist das eine fantastische grafische Metapher für den Inhalt des Films.
CD: Ich bin ein großer Fan der polnischen und tschechischen Filmplakate der 1950er und 60er Jahre. In beiden Ländern haben sich außergewöhnliche Plakatschulen entwickelt. Gerade weil es keine staatlichen Vorgaben gab, wie zum Beispiel in der Malerei den Realismus. Die Werbegrafik war freier und die Grafiker*innen haben diesen Raum für äußerst kreative und ungewöhnliche Motive genutzt. Die polnischen Plakate schaffen es, in einem einzigen eher abstrakten Bild die Stimmung eines Filmes einzufangen ohne eine Szene oder eine der Hauptpersonen abzubilden. Mich macht das total neugierig.