Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt

It Is Not the Homosexual Who Is Perverse, But the Society in Which He Lives
90-mal fällt im Kommentar das Wort „schwul“, das 1971, zwei Jahre nach Abschaffung des § 175, noch im Hate-Speech-Kontext stand; die Betroffenen hatten es sich noch nicht selbstbewusst angeeignet. Auf die stumm gedrehten Bilder schwuler Klischee-Szenen gelegt und in deklamatorischem Ton vorgetragen, provozierte das diejenigen, die gar nichts davon hören wollten, wie diejenigen, die unter diesem Begriff litten, gleichermaßen. Die Kritik des Films, aus vorsätzlich „diffuser Künstlereinstellung“ (Praunheim) artikuliert, Elemente von Spiel- und Dokumentarfilm, Pamphlet und Aufruf vermischend und damit klassische Filmnarrationen queerend, richtete sich vor allem an die eigene Szene, der Praunheim selbstverschuldete Unsichtbarkeit vorwarf. Aus den Diskussionen um die durch den Film entstandene Sichtbarkeit entwickelte sich die moderne deutsche Schwulenbewegung. Ein seltenes Beispiel für einen Film mit direkter gesellschaftspolitischer Wirkung.
von Rosa von Praunheim
mit Bernd Feuerhelm, Beryt Bohlen, Ernst Kuchling
Bundesrepublik Deutschland 1971 Deutsch 67’ Farbe

Mit

  • Bernd Feuerhelm
  • Beryt Bohlen
  • Ernst Kuchling

Stab

Regie, Buch Rosa von Praunheim Theoretische Mitarbeit: Martin Dannecker und Sigurd Wurl
Kamera Robert Van Ackeren
Montage Jean-Claude Piroué
Produktionsleitung Dieter Minx
Produzent*in Werner Kließ
Kommentar Michael Bolze, Volker Eschke

Produktion

Bavaria Atelier

Rosa von Praunheim

Geboren 1942 in Riga. Er studierte an der Werkkunstschule Offenbach am Main sowie an der Hochschule der Künste Berlin. Seit 1968 hat von Praunheim ca. 90 Filme gedreht. Sein Durchbruch gelang ihm 1971 mit dem Dokumentarfilm Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt.

Filmografie (Auswahl)

1970 Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt; Dokumentarfilm 1973 Die Bettwurst 1976 Ich bin ein Antistar. Das skandalöse Leben der Evelyn Künneke; Dokumentarfilm 1981 Unsere Leichen leben noch; Dokumentarfilm; IFB Neue Deutsche Filme 1984 Horror Vacui; IFB Neue Deutsche Filme 1985 Ein Virus kennt keine Moral; IFB Neue Deutsche Filme 1987 Anita – Tänze des Lasters; IFB Panorama 1989 Überleben in New York; Dokumentarfilm; IFB Neue Deutsche Filme 1996 Neurosia – 50 Jahre pervers; IFB Panorama 2002 Tunten lügen nicht; Dokumentarfilm; IFB Panorama 2005 Dein Herz in meinem Hirn 2011 Die Jungs vom Bahnhof Zoo; Dokumentarfilm; IFB Panorama 2015 Härte

Stand Bio- & Filmografie: Berlinale 2020