1951

1. Internationale Filmfestspiele Berlin

06. – 17. Juni 1951

„Das von allen Filmfestspielen erstrebte Ziel muss sein, zu einem besseren Verständnis zwischen den Völkern beizutragen und einen positiven Beitrag zur Entwicklung der Filmkunst und der Filmwirtschaft zu leisten.“ – aus den Richtlinien für internationale Filmfestspiele der FIAPF / Fédération Internationale des Associations de Producteurs de Films.

Alfred Bauer

Die Anfänge

Auf Initiative des amerikanischen Filmoffiziers Oscar Martay trifft sich am 9. Oktober 1950 erstmals ein Ausschuss, der die Gründung eines internationalen Filmfestivals in Berlin vorbereiten soll. Dem Ausschuss gehören neben Martay und seinem britischen Kollegen George Turner zwei Vertreter der Berliner Senatsverwaltung, vier Vertreter der deutschen Filmwirtschaft und ein Journalist an. In dieser Sitzung werden der erste Festivaltermin (6. bis 17. Juni 1951; Preisverleihung am 18. Juni) und der Name „Internationale Filmfestspiele Berlin“, für den sich schnell das Kürzel „Berlinale“ einbürgern wird, festgelegt.

Zum Festivalleiter wird der Publizist und Filmhistoriker Dr. Alfred Bauer berufen, der in den 1940er Jahren für die Reichsfilmkammer und nach Kriegsende als Filmreferent für die britische Militärregierung tätig gewesen war. Im November 1950 tritt er seinen Dienst für die Internationalen Filmfestspiele an.

Der Fall Alfred Bauer

Dass Alfred Bauer in seiner Zeit vor 1945 eine weitaus bedeutendere Rolle in der Reichsfilmkammer des Nationalsozialismus spielte als lange angenommen, wurde erst 2020 durch einen Artikel in der „Zeit“ einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Die Berlinale gab im Zuge dieser Erkenntnis zwei wissenschaftliche Studien* zu Bauer in Auftrag, die bestätigten, dass er seine Tätigkeit, die maßgeblich zum Funktionieren des NS-Filmapparates beitrug, während seines Entnazifizierungsverfahrens systematisch verschleierte. Im Lichte dieser Studien erscheint Bauer als hemmungsloser Opportunist, der die Wirren der Nachkriegszeit und seine schon vor dem Krieg bestehenden Netzwerke und persönlichen Kontakte geschickt nutzte, um im neuen Deutschland schnell Fuß zu fassen.

Der Eingang zur Waldbühne in Charlottenburg

Im Rückblick erscheint die Geburt der Berlinale als ein Bündel von Widersprüchen: Ein ehemaliger Nationalsozialist, der der maßgebliche Protagonist eines Festivals mit dem Ziel der Völkerverständigung werden sollte. Ein Mann, der Zeit seines Lebens den Film als „unpolitisch“ bezeichnete, aber den explizit politischen Anspruch des Festivals, in einer in Sektoren aufgeteilten Stadt ein „Schaufenster der freien Welt“ zu sein, vertreten sollte. Widersprüche, die dem nachgelagerten Bedürfnis nach einer sauberen Trennung von Schuld und Unschuld diametral entgegenlaufen. So saßen im Gründungsausschuss der Berlinale Gegner wie Unterstützer des untergegangenen NS-Regimes. Das Ende des Krieges markierte keineswegs einen klaren Bruch mit der Diktatur vor 1945 und deren personellem Inventar. Freund- und Feindschaften wurden neu definiert. Auf allen Gebieten gab es Kontinuitäten, die zu lange geleugnet wurden und immer wieder dazu auffordern, die Sicht auf die Vergangenheit neu zu justieren.

Alfred Bauers biografischer Werdegang liegt wie ein Schatten auf der Geschichte des Festivals und ist dennoch paradigmatisch für dessen Evolution, die sich auch in den folgenden Jahrzehnten niemals parallel, unberührt von gesellschaftlichen Umbrüchen vollzog, sondern ganz im Gegenteil auch in den Folgejahrzehnten immer im Brennpunkt geschichtlicher Verläufe, politischer Konflikte und sozialer Umwälzungen stand. Schnell wird Bauer in das Werben um Werke aus dem damaligen Ostblock einsteigen, die er unbedingt in West-Berlin zeigen will, und so seine Rolle im heraufziehenden Kalten Krieg einnehmen.

Hinweise auf eine nationalsozialistische Gesinnung in Bauers Filmauswahl während seiner Zeit als Festivalleiter lassen sich hingegen nicht feststellen. Zwar versucht er – ein Vorstoß, der singulär bleiben wird - 1951 mit Karl Ritter einen bekannten NS-Propagandaregisseur im Programm zu platzieren, die Berliner Senatsverwaltung unterbindet diesen Vorstoß jedoch.

Politische Symbolik

Am 6. Juni 1951 werden die ersten Internationalen Filmfestspiele Berlin im Titania-Palast indes mit Rebecca, dem Werk eines Regisseurs eröffnet, der im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Alliierten stand. 1944 hatte Alfred Hitchcock zwei Filme für das britische Informationsministerium gedreht, um sich kurz nach dem Krieg während seiner Arbeit an German Concentration Camps Factual Survey den schlimmsten Gräueltaten des NS-Regimes auszusetzen. Der Star des Films, Joan Fontaine, ist der gefeierte Stargast des Festivals. Sechs Jahre nach dem Ende des Krieges liegen große Teile Berlins noch immer in Trümmern. Der Wiederaufbau hat begonnen, aber man ist noch weit entfernt von der Lebendigkeit der Kunstmetropole, die die Stadt in den 20er Jahren war. In dieser Situation befriedigen die Filmfestspiele und ihre internationalen Gäste das große Bedürfnis der Stadt nach Beachtung und Anerkennung.

Die „Berlinale“ wird ein großer Publikumserfolg. Die Festakte finden in der ausverkauften Waldbühne statt - am Abschlussabend von einem großen Feuerwerk gekrönt. Die Hauptpreise des Festivals, die „Berliner Bären“, werden in den Kategorien „Dramatische Filme“, „Komödien“, „Kriminal- und Abenteuerfilme“, „Musikfilme“ und „Dokumentarfilme“ vergeben. Über die Preise entscheidet im ersten Jahr eine Fachjury aus ausschließlich deutschen Mitgliedern. Auch das Publikum kürt seinen Lieblingsfilm: Cinderella aus dem Hause Disney (das seinerseits auf US-amerikanischer Seite eine bedeutende Rolle in der Propagandaschlacht des Zweiten Weltkriegs gespielt hatte). Auf Druck der FIAPF (Fédération Internationale des Associations de Producteurs de Films) wird es jedoch schon im Folgejahr nur noch die Publikumsabstimmung geben. Denn die Vergabe offizieller Preise durch eine Fachjury ist den so genannten A-Festivals vorbehalten. Und diese Spore muss sich die Berlinale erst noch verdienen.

Der Berlinale wird allgemein ein guter Start bescheinigt. Das internationale Interesse war groß und die Begeisterung des Publikums übertraf alle Erwartungen. Kritik kam freilich aus dem Ostteil der Stadt, wo man der Berlinale die Internationalität abspricht, die sie im Namen führt, da in Folge einer Grundsatzentscheidung Filme aus sozialistischen Ländern vom Festival kategorisch ausgeschlossen waren. Allerdings war es den Bewohnern Ost-Berlins möglich, die Filmfestspiele zu besuchen, denn die Sektoren-Grenze war ja noch passierbar. Im Corso-Filmtheater im Wedding wurden verbilligte Vorführungen für Ost-Berliner gezeigt und Tausende nutzten dieses Angebot.

* = Zusammenfassung „Vorstudie über ein historisches Porträt von Dr. Alfred Bauer (1911-1986)“, verfasst von PD Dr. Tobias Hof im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München–Berlin (Download, PDF (514 KB))
Zusammenfassung „Schaufenster im Kalten Krieg. Neue Forschungen zur Geschichte der Internationalen Filmfestspiele Berlin (Berlinale) in der Ära Alfred Bauer (1951-1976)“, verfasst von Dr. Wolf-Rüdiger Knoll und Dr. Andreas Malycha im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München–Berlin und der Internationalen Filmfestspiele Berlin (Download, PDF (777 KB))