1957
7. Internationale Filmfestspiele Berlin
21. Juni – 02. Juli 1957
„Der filmische Nierentisch.“ – Rolf Becker in „Der Monat“ über Ottomar Domnicks Film Jonas, der auf dieser Berlinale für Kontroversen sorgte.
Ein neues Berlin
„Filmfestspiele in einem neuen Berlin“ ist das Motto der siebenten Berlinale. Überall in Berlin wird eifrig gebaut, die internationale Bauausstellung „Interbau“ beschert der Stadt gleich mehrere neue Wohnviertel, unter anderem das Hansaviertel im Tiergarten und in unmittelbarer Nähe die neue „Kongresshalle“, das heutige Haus der Kulturen der Welt. Auch die Berlinale bekommt einen neuen Festspielort: der Zoo-Palast am Bahnhof Zoologischer Garten ist fortan das innerstädtische Festivalkino, das sich Alfred Bauer gewünscht hatte.
Wie international sind diese Filmfestspiele?
Die Berlinale gerät unter zunehmenden Legitimationsdruck: der kategorische Ausschluss von Filmen aus den so genannten Ostblockstaaten wurde stets als Widerspruch empfunden gegen die Internationalität, die das Festival im Namen führt. Nachdem sich das Festival in Cannes Filmen aus Osteuropa geöffnet hat und dem Filmfestival in Karlovy Vary ebenfalls der A-Status zuerkannt wurde, ist die Berlinale mit ihrer Blockade-Haltung isoliert. Noch beharrt jedoch vor allem die Bundesregierung auf dem Ausschluss der sozialistischen Staaten und fährt im Namen der „freien Welt“ vor allem im Umgang mit der DDR einen härteren Abgrenzungskurs als die andere Seite.
Die Debatte über die politische Glaubwürdigkeit beeinflusst auch die inhaltliche Bewertung des Festivalprogramms. 1957 geht als ein schwaches Jahr in die Berlinale-Geschichte ein, nicht zuletzt wohl auch wegen der hohen Erwartungen, die der neue A-Status geweckt hatte. Die Berlinale war schnell erwachsen geworden, aber viele vermissten noch die Reife.
Ein Festival für die Kritiker
Als Grund zum Optimismus wird hingegen die Tatsache gewertet, dass die FIPRESCI, die internationale Kritikervereinigung, ihre Jahrestagung in Berlin abhält und erstmals auf der Berlinale einen Preis vergibt, und zwar an die britische Produktion Woman in a Dressing Gown von J. Lee Thompson. Für Diskussionsstoff unter den Kritikern sorgte ein deutscher Film: Ottomar Domnicks Jonas, ein ästhetisch und erzählerisch sehr eigenwilliger Film, erscheint vielen noch als ein sperriger aber zukunftsweisender Monolith in der deutschen Filmlandschaft, anderen dagegen als Avantgarde von gestern: „Arrièregardismus“ spitzfindelt Rolf Becker in seiner Kritik. Heute kann Jonas als ein Vorläufer des deutschen Autorenkinos der 60er und 70er Jahre gelten. Jedenfalls ist der Film ein erstes Zeichen dafür, dass die Auswahlpolitik der Berlinale bei den deutschen Filmen mutiger wird. Die Festivalleitung hat dann jedoch Angst vor der eigenen Courage: Jonas wird dem Publikum nebst erklärendem Einführungsvortrag präsentiert und auch die Presse glaubt man durch eine Sonderpressekonferenz auf den „schwierigen“ Film vorbereiten zu müssen.
Das Publikum indes lässt sich den Spaß nicht verderben: Lieblinge der Berliner sind in diesem Jahr Errol Flynn und seine Frau Patricia Wymore, Vico Torriani, Trevor Howard und Henry Fonda – und wieder einmal „Hildejardchen“ Knef.