1978
28. Internationale Filmfestspiele Berlin
22. Februar – 05. März 1978
„Die internationale Filmwelt braucht die große turbulente Messe von Cannes, träumt aber von einem ambitionierten, dem künstlerischen Film gewidmeten Festival, das Berlin und Venedig einmal waren.“ – Festivalleiter Wolf Donner in einem Brief an das Kuratorium, in dem er für eine Verlegung der Berlinale in den Februar plädiert.
Eine neue Sektion: Kino für Leute ab sechs
Kinder seien die idealen Zuschauer, meinte Wolf Donner zur Premiere von „Kino für Leute ab sechs“, weil sie „unbelastet und spontan“ seien. Vorangegangen war dem ein Aha-Erlebnis des Festivalleiters: für den SFB-Kinderfunk hatten ihn einige Kinderreporter gefragt, warum die Berlinale eigentlich nur für Erwachsene sei. Reichlich verlegen gab Donner zu Protokoll: „Auweia, das ist aber eine böse Frage.“ Weil er es den Kindern nicht wirklich erklären konnte, gab er ihnen das Versprechen, „dass ich mir fest vornehme, mich für das nächste Jahr zu bemühen um ein Kinderprogramm. Basta!“ Das war die Geburt des Kinderfilmfestes. Donner hielt Wort und zeigte in Zusammenarbeit mit der Landesbildstelle „Kino für Leute ab sechs“. Das war nicht nur neu, sondern auch einzigartig unter den A-Festivals.
Die Filmreferentin Barbara Krämer von der Landesbildstelle formulierte die Kriterien der Filmauswahl: „Wir wollten, dass Kinder besondere Filme sehen. Sie mussten die Kinder gefangen nehmen, eine Geschichte erzählen, die mit ihnen zu tun hatte, sie mussten handwerklich gut gemacht sein. Film, die zwar einen pädagogischen Ansatz hatten, aber künstlerisch nicht gut umgesetzt waren, nahmen wir nicht ins Programm.“
Die anfänglichen Zweifel an der Attraktivität eines Kinderfilmfestes wurden von 12.000 Zuschauern in den zumeist ausverkauften Vorstellungen widerlegt. Schon die heftigen Diskussionen um die deutsch-tschechische Ko-Produktion Krabat von Karel Zeman zeichneten den Werdegang des Kinderfilmfests vor: Während besorgte Pädagogen dagegen protestierten, den Kindern einen so grausamen Film zu zeigen, forderte Barbara Krämer dazu auf, die Kinder nicht zu unterschätzen. In diesem Spannungsfeld würde das Kinderfilmfest sein Profil finden.
Wetterwechsel
Die spürbarste Neuerung war 1978 jedoch die Verlegung des Festivaltermins vom Juni in den Februar. Schon Alfred Bauer hatte mehrmals versucht, einen früheren Termin durchzusetzen, war dabei jedoch stets am Widerstand des Berliner Senats und auch der FIAPF gescheitert. Bauer ging es vor allem um eine deutlichere zeitliche Distanz zum Festival in Cannes, damit die Berlinale ihre Filmauswahl in größerer Unabhängigkeit vom Konkurrenzfestival treffen konnte.
Donner griff das Thema schon im ersten Jahr seiner Leitung wieder auf, jedoch mit einem anderen Argument: Er glaubte, dass ein früherer Termin die Filmmesse stärken würde. Gerade der Spätwinter sei für die Filmwirtschaft eine Durststrecke, und die Berlinale hätte hier große Chancen, sich als Branchentreff neben Cannes und der MIFED in Mailand zu etablieren. Was Cannes betraf, so argumentierte Donner eher damit, dass die Konkurrenz beiden Festivals diene, weil sie dazu auffordere, sich zu profilieren – und die zwischenzeitliche Auflösung des Festivals in Venedig begünstigte diese Hoffnung. „Cannes – Berlin, das bedeutet Kontrast, nicht Konkurrenz“, schrieb Donner in einem Beitrag zum „Jahrbuch Film 78/79“. Mit der Terminverschiebung einher ging also eine klare Positionsbestimmung der Berlinale.
Kuratorium und Senat folgten Donners Argumentation schließlich, und der Erfolg der Berlinale 1978 gab ihnen recht: Die Filmmesse hatte schon im Vorjahr einen deutlichen Zuwachs an Ausstellern erfahren und die Tendenz blieb steigend: 1978 waren 36 Länder vertreten. Im September 1978 beschloss der Beirat zudem einen „unverzüglichen Ausbau“ der Filmmesse „aus kulturpolitischen und filmwirtschaftlichen Gründen“. Begünstigt durch eine Aufstockung der Bundesmittel um rund 500.000 D-Mark wurde es möglich, das Filmmesse-Zentrum in der Budapester Straße auszubauen und zu modernisieren.
Pudelmützen und Schals waren nun die bestimmenden Bekleidungsstücke der Berlinale. Die Fundbüros an den Kinokassen werden zu tun bekommen haben, aber so richtig beschweren wollte sich keiner über die Berliner Kälte, denn zu gut war das Programm auch in diesem Jahr. Weiterhin herrschte Vielfalt, die jedoch nicht in Beliebigkeit ausartete. Vielmehr war in der Auswahl eine engagierte kuratorische Handschrift zu erkennen. Wettbewerb und Info-Schau waren international und jung besetzt und zeigten politisches Profil.
Facetten des US-Kinos
Das stärkste Frauenbild im Wettbewerb, eine der nachhaltigsten Figuren der Filmgeschichte überhaupt: Gena Rowlands in John Cassavetes’ Opening Night. Dieser Film hatte das Festival eröffnet, als Abschlussfilm lief außer Konkurrenz Steven Spielbergs Close Encounters of the Third Kind, womit sich das amerikanische Kino in zwei denkbar unterschiedlichen Facetten präsentierte. Dass die Jury unter dem Vorsitz von Patricia Highsmith den Goldenen Bären an den „spanischen Gesamtbeitrag“ verlieh, war ein Novum und wurde allgemein als Solidaritätsgeste für die noch junge spanische Demokratie gewertet.