1952
2. Internationale Filmfestspiele Berlin
12. – 25. Juni 1952
"Wenn wir da ein bisschen helfen könnten, das wäre wunderbar. Die ganze Welt wartet auf einen deutschen Film. Aber wenn sie anfangen, Hollywood zu kopieren, dann ist es aus." – Billy Wilder in einem Interview mit der "Welt".
Erfolg weckt Begehrlichkeiten
Der Erfolg des ersten Jahres hatte die Position Alfred Bauers gefestigt. Gleichzeitig weckte die internationale Aufmerksamkeit, die das Festival gebracht hatte, Begehrlichkeiten bei verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Gruppen. Viele wollten sich vor den repräsentativen Karren spannen und so war der Arbeitsausschuss, der die zweite Berlinale vorbereiten sollte, mit 25 Mitgliedern derart überbesetzt, dass er letztlich eine Art Beirat blieb. Die Entscheidungen traf weiterhin Alfred Bauer. Schon im Folgejahr wurden der Ausschuss und seine Aufgaben zweigeteilt.
Der Titania-Palast in Steglitz, die Haupt-Spielstätte des Eröffnungsjahres, erschien vielen zu weit abgelegen. Nach ausgiebiger Debatte entschied man sich für den Delphi Filmpalast an der Kantstraße und das Capitol am Lehniner Platz – heute Sitz der Schaubühne - als neue Festivalkinos. Die neuen Spielstätten versprachen eine Einnahmensteigerung und lagen zudem näher am Organisationsbüro, das während der Vorbereitungsphase in die Budapester Straße unweit des Bahnhofs Zoo gezogen war.
Die FIAPF greift ein
Weitere Weichenstellungen gab es auf internationaler Ebene. Die FIAPF (Federation Internationale des Associations des Producteurs de Films) hatte der Berlinale untersagt, eine Jury offizielle Preise vergeben zu lassen, also einen Wettbewerb auszurichten, wie es ausschließlich Cannes und Venedig vorbehalten war. Dies war zwar ein Dämpfer für die Berlinale, ohne das Wohlwollen der FIAPF oder an dieser vorbei würde das Festival jedoch keine Zukunft haben. Entsprechend diplomatisch war das Verhalten Berlins. Durch verschiedene politische Interventionen und informelle Initiativen gelang es, das Wohlwollen des deutschen FIAPF-Vertreters Dr. Günter Schwarz zu gewinnen, dessen Einsatz es dann auch zu verdanken war, dass die Berlinale auf der Jahrestagung der FIAPF 1952 wenigstens als regelmäßiges Filmfestival anerkannt wurde.
Ein „außenpolitischer“ Erfolg – innenpolitisch jedoch gab es einen unausgestandenen Konflikt mit der SPIO, der Dachorganisation der deutschen Spielfilmproduzenten, die sich von der Berlinale nur unzureichend vertreten fühlten. Tatsächlich war in den ersten Jahren der Einfluss politischer Akteure auf das Festival wesentlicher größer als der von Filmschaffenden oder Vertretern der Filmwirtschaft. Die Berlinale wurde eher als ein heikles Politikum betrachtet, als dass man in ihr die Chance sah, einen kulturellen Ausgleich zu den politischen Härten der Zeit zu schaffen. Wichtige Entscheidungen wurden nach politischen Abwägungen getroffen, argumentiert wurde mit der „besonderen Situation Berlins“, weniger mit den Belangen des Films; und die Arbeit Bauers glich oft eher der eines Diplomaten als der eines künstlerischen Leiters.
Der erste „Skandal“
In dieses Bild schiefer Prioritäten passt auch der Skandal um Orson Welles, dessen Film Othello wohl einer der Höhepunkte des Festivals geworden wäre – hätte es nicht im Arbeitsausschuss eine heftige Debatte gegeben um eine zwei Jahre zurück liegende Kritik Welles’ an der Situation im Nachkriegsdeutschland. Einige Ausschussmitglieder interpretierten Welles’ damalige Äußerung als „anti-deutsch“ und nahmen dies zum Anlass, die Einladung von Othello zu verhindern. Als dann doch noch eine verspätete Einladung ausgesprochen wurde, lehnte Welles sie ab.
Der meist beachtete Gast des Festivals 1952 war Billy Wilder, der keine Gelegenheit ausließ, Optimismus zu verbreiten, was die Zukunft des deutschen Films anging. Das war auch nötig, denn tatsächlich war es säuerlich bestellt um das Ansehen des deutschen Films. Schon im ersten Jahr waren die deutschen Festivalbeiträge bei Presse und Publikum durchgefallen. Im zweiten Jahr sollte es ihnen nicht besser ergehen. Die Unverblümtheit der Publikumsreaktionen überraschte viele und erschreckte auch: wenn es einen Film liebte, gab das Berlinale-Publikum Szenenapplaus, wenn ihm dagegen missfiel, was es zu sehen bekam, war die Reaktion nicht weniger direkt. Einzelne Vorführungen buhte das Publikum an den Rand des Abbruchs.
Wer wagt, gewinnt
Einer der am meisten beachteten und am heftigsten diskutierten Film der Berlinale 1952 war Hon Dansade en Sommar | Sie tanzten nur einen Sommer von Arne Mattson, dessen einzige Nacktszene zwar als äußerst gewagt galt, letztlich jedoch als der Ausdruck einer neuen Freiheit begeistert aufgenommen wurde. Der Film wurde mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet – und zwar vom Publikum, das in diesem Jahr durch kollektive Abstimmung die Preise vergab. Auf diese Weise wurde man den Auflagen der FIAPF gerecht, ohne ganz auf die Vergabe von Preisen verzichten zu müssen. Als hinzunehmender faux-pas einer derart demokratischen Preisvergabe muss wohl verbucht werden, dass Filme wie Jean Renoirs The River und Akira Kurosawas Rashomon weitgehend unbeachtet blieben – allerdings auch bei der einheimischen Presse.