1975

25. Internationale Filmfestspiele Berlin

27. Juni – 08. Juli 1975

Wir fordern Geschlechtsparität in allen Auswahlgremien … Filme, die die materielle und sexuelle Ausbeutung der Frau aufzeigen und ihren Befreiungskampf unterstützen.“ – Aus einem Flugblatt, das während der Berlinale 1975 im Umlauf war.

Katalin Berek und Gyöngyvér Vigh in Örökbefogadás von Márta Mészáros

Der Osten en bloc

Nachdem im Vorjahr erstmals ein sowjetischer Film auf der Berlinale gelaufen war, schien das Eis des Kalten Krieges zumindest für die Festivalpolitik gebrochen: 1975 nahmen Filme aus fast allen sozialistischen Staaten an der Berlinale teil, darunter erstmals auch DEFA-Filme.

Rundum war 1975 ein gutes Jahr für die Berlinale: Das 25jährige Jubiläum wurde mit einer Retrospektive von Debütfilmen gefeiert, die auf der Berlinale ihre Premiere erlebt hatten. Es erschien ein Buch zu „25 Jahren Berlinale“ von Hans Borgelt, dem ehemaligen Pressechef des Festivals, und diesmal war der Jubiläumsjahrgang auch ein Publikumserfolg. Stars waren unter anderen Kirk Douglas, der seinen Polit-Western Posse im Wettbewerb präsentierte, und Claudia Cardinale, die als Ehrengast die Goldenen und Silbernen Bären überreichte. Und auch Gina Lollobrigida war wieder einmal in der Stadt, allerdings nicht mit einem Film auf dem Festival, sondern anlässlich einer Ausstellung ihrer Fotografien in einer Berliner Galerie.

Aufgewertet durch Filme aus Polen, der CSSR, der Sowjetunion, Ungarn, der DDR und der Volksrepublik China galt der Wettbewerb als einer der stärksten seit vielen Jahren. Unter anderem liefen Filme von Jiri Menzel und Krzysztof Zanussi, der ungarische Film Örökbefogadás | Adoption von Márta Mészáros erhielt den Goldenen Bären und Frank Beyers Jakob der Lügner war der erste DEFA-Film im Berlinale-Wettbewerb, und brachte dem Hauptdarsteller Vlastimil Brodsky einen Silbernen Bären ein. Eine neue Ära begann mit diesen Filmen, und sie machten augenfällig, was der Berlinale durch die erzwungene Selbstbeschränkung all die Jahre entgangen war.

Ein Jahr der Frauen

Neben den politischen Verhärtungen schienen aber auch die programmatischen Konflikte der vergangenen Jahre konstruktiv gelöst zu sein. Der Gewinnerfilm Örökbefogadás stand exemplarisch für eine auffallend starke Präsenz von Frauen – sowohl in den Geschichten, als auch hinter der Kamera. Der Journalist – und spätere Festivalleiter – Wolf Donner sah sich veranlasst, in der „Zeit“ „Das Jahr der Frau“ auszurufen und fand dafür vor allem im Programm des Forums zahlreiche Belege: „Weniger der Clinch zu Hause, der Kampf der Geschlechter steht im Mittelpunkt der neuen Frauenfilme, sondern Frauen selber, die vor und die hinter der Kamera: eine Männern oft schwer verständliche, bewusst weibliche Perspektive, ein neues feminines Selbstverständnis.“

In Filmen von Chantal Ackerman (Jeanne Dielman, 23, Quai du Commerce – 1080 Bruxelles), Ingemo Engström (Kampf um ein Kind), Yvonne Rainer (Film about a woman who…) und der Komödie Ta’det som en Mand, Frue des dänischen Kollektivs „die Roten Schwestern“ zeigte sich eine Generation von Filmemacherinnen, die sich auch vom Blick des männlichen Publikums emanzipierte. Umso weniger mag es sie gestört haben, dass Wolf Donner den „Kampf der Geschlechter“ etwas zu gönnerisch mit dem „Clinch zu Hause“ identifizierte. Und hatte er mit dem „Femininen“ eine verdaulichere Variante des „Feministischen“ gemeint?

Alfred Bauer besucht die Ausstellung zur Retrospektive „Die Filme der Greta Garbo“

Die Kritik der patriarchalen Strukturen hatte indes gerade erst begonnen und als nächstes geriet die Berlinale selbst ins Visier. In einem Flugblatt forderten feministische Aktivistinnen vom Festival „Geschlechtsparität in allen Auswahlgremien“, um die Sichtbarkeit von Filme zu fördern, welche „die materielle und sexuelle Ausbeutung der Frau aufzeigen und ihren Befreiungskampf unterstützen.“ Es wird auch Aufklärung gefordert „über das sexistische Frauenbild im sogenannten linken oder progressiven Film.“ Das klang tatsächlich nach mehr als nur „Clinch zu Hause“. Da wird sich manch einer den Schweiß von der Stirn gewischt haben - Woody Allen zum Beispiel mag sich im stillen Kämmerlein noch einmal eilig seinen Was Sie schon immer über Sex wissen wollten… zu Gemüte geführt haben, bevor er sich für sein Gesamtwerk einen Silbernen Bären abholte. Sein jüngster Film Love and Death | Die Letzte Nacht des Boris Gruschenko war ein weiterer Höhepunkt eines rundum gelungenen Festivaljahrgangs.