Perspektive Deutsches Kino
13.01.2022
Perspektive Deutsches Kino 2022: Echo der Vergangenheit
Sieben Spiel- und Dokumentarfilme sind in die Perspektive Deutsches Kino 2022 eingeladen. Ab diesem Jahr will die Sektion die Aufmerksamkeit auch auf weitere Fertigkeiten lenken, die den kreativen Prozess des Filmemachens prägen. Neben der traditionellen Würdigung von Regie und Produktion wird zukünftig bei jedem Perspektive-Film auch ein besonderes Talent aus einem weiteren Gewerk präsentiert.
Das Programm stellt 2022 daher neben sechs Regisseurinnen und einem Regisseur erstmals sechs Perspektive-Talente aus den Bereichen Dokumentarfilm-Regie, Kamera, Montage, Produktion und Szenenbild vor.
„Es ist mir wichtig, dass wir Film als Gesamtkunstwerk sehen und den einzelnen Gewerken in dieser Kollektivarbeit mehr Aufmerksamkeit schenken. Dieses Anliegen begleitet meine letzte Edition, bevor neue Aufgaben als wissenschaftliche Referentin bei der DEFA-Stiftung auf mich warten“, sagt Sektionsleiterin Linda Söffker.
„Linda Söffker hat die Perspektive in den vergangenen 12 Jahren mit ihrer großen Expertise und Tatkraft bereichert und die Sektion weiterentwickelt. Sie war in dieser Zeit die zentrale Ansprechpartnerin für die deutschen Filmschaffenden und hat alle Chancen genutzt, das deutsche Filmschaffen zu stärken. Wir danken ihr für ihr leidenschaftliches Engagement, ihre Hingabe an das deutsche Kino und wünschen ihr viel Erfolg bei den neuen Aufgaben, die sie künftig übernimmt“, verabschiedet das Berlinale-Leitungsduo, Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, die langjährige Sektionsleiterin.
Eine beliebte deutsche Redewendung lautet: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“ Dieser Widerhall wird durch die Vergangenheit erzeugt und erscheint als sich selbst reproduzierende Wiederholung – als Echo. In Gestalt der Nymphe Echo ist dieses Phänomen titelgebend in Mareike Wegeners erstem langen Spielfilm (Echo, P: PETROLIO FILM; Perspektive-Talent Kamera: Sabine Panossian). Hier soll die Polizistin Saskia Harder (Valery Tscheplanowa) die Identität einer im Wald liegenden Moorleiche ermitteln, während zur selben Zeit im Ort ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden wird.
In dem Debütfilm von Saralisa Volm Schweigend steht der Wald (P: POISON + if… Productions; Perspektive-Talent Montage: Daniel Kundrat) geht es um ein Geheimnis, das unter der Erde im Wald verborgen liegt, auch ein Echo der Vergangenheit. Die Praktikantin der Forstwirtschaft Anja (Henriette Confurius) stößt bei ihren Erkundungen auf Unregelmäßigkeiten im Boden des Waldes und vermutet Hinweise auf Schuld und Verdrängung.
Der Wald verfügt von jeher über eine hohe symbolische und mystische Kraft. In fast allen Spielfilmen des Programms und generell in der Kunst ist das Motiv des Waldes Projektionsfläche zwischen zwei Polen: Einsamkeit und Freiheit, Angst und Geborgenheit, Gewalt und Liebe. In Gewalten (P: Kinescope Film; Perspektive-Talent Kamera: Rafael Starman), dem zweiten langen Spielfilm von Constantin Hatz, ist der Wald ein Sehnsuchtsort für den 14-jährigen Daniel (Malte Oskar Frank), aber gleichzeitig ist er auch das Sinnbild für Leiden und Schmerz. Die hohen Bäume, das grüne, weiche Moos und die Stille des Waldes geben Daniel Trost und ummanteln ihn in seinem Verlorensein.
Im Perspektive-Eröffnungsfilm Wir könnten genauso gut tot sein (P: HEARTWAKE films; Perspektive-Talent Szenenbild: Elisabeth Kozerski), der Abschlussfilm von Natalia Sinelnikova an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, soll ein abgeschirmtes Hochhaus mit Wohlfühleffekt ein Ort der Sicherheit sein, der jenseits der Grenze zum gefährlichen Wald gelegen ist. Doch als der Hund des Hausmeisters verschwindet, verbreitet sich eine irrationale Angst unter den Bewohner*innen, die die Sicherheitsbeauftragte Anna (Ioana Iakob) versucht, mit Vernunft in den Griff zu bekommen.
Ein fünfter, kürzerer, Spielfilm (29 Min) von der DFFB ist eingeladen, der sich als kinematografisches Gedicht mit dem Echo der Vergangenheit auseinandersetzt. Rondo (R: Katharina Rivilis) wirft die Frage auf, ob aus dem emotionalen Trümmerhaufen, den das Ende einer großen Liebe hinterlässt, eine neue Liebe entstehen kann.
Die zwei Dokumentarfilme Sorry Genosse und Ladies Only vervollständigen das Programm. Sorry Genosse von Vera Brückner (P: NORDPOLARIS; Perspektive-Talent Produktion: Fabian Halbig) macht uns mit der unglaublichen Liebesgeschichte der Thüringer Medizinstudentin Hedi und des westdeutschen Linksaktivisten Karl Heinz bekannt. Diese spielerisch erzählte Geschichte einer aberwitzigen Flucht eröffnet einen ungewöhnlichen Blick auf die deutsch-deutsche Vergangenheit.
Im Dokumentarfilm Ladies Only von Rebana Liz John (P: KHM; Perspektive-Talent Dokumentarfilm-Regie: Rebana Liz John) treffen wir in den Damenabteilen der Nahverkehrszüge in Mumbai auf Frauen, die uns Einblick in ihre Sichtweisen, Hoffnungen und ihre Wut geben und damit ein buntes Bild aus Gesichtern, Sprachen und Kulturen der indischen Gesellschaft entwerfen, das aus einem stilvollen Schwarz-Weiß-Film heraus leuchtet.
Alle sieben eingeladenen Filme stehen im Wettbewerb um den Kompass-Perspektive-Preis (Jury: Editorin und Regisseurin Carlotta Kittel, Drehbuchautor und Regisseur Henning Beckhoff, Schauspielerin und Produzentin Sara Fazilat) und den Heiner-Carow-Preis der DEFA-Stiftung (Jury: Filmemacherin Sandra Kaudelka, Schauspielerin Ute Lubosch und Alexander Iskrov von der DEFA-Stiftung), die jeweils mit 5.000 Euro dotiert sind.
Programm:
Echo
Deutschland
von Mareike Wegener
mit Valery Tscheplanowa, Ursula Werner, Andreas Döhler, Felix Römer, Oskar Keymer, Marina Galic
Perspektive-Talent: Sabine Panossian (Kamera)
Weltpremiere
Kaum hat die durch ein Bombenattentat in Afghanistan traumatisierte Polizistin Saskia Harder die Ermittlungen um die Identität einer Moorleiche in der friedländischen Provinz aufgenommen, muss im Ort ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft werden.
Gewalten
Deutschland
von Constantin Hatz
mit Malte Oskar Frank, Robert Kuchenbuch, Eric Cordes, Paul Wollin, Ben Felipe, Trixi Strobel
Perspektive-Talent: Rafael Starman (Kamera)
Weltpremiere
Das Leben des sanftmütigen Daniels, der seinen todkranken Vater pflegt und von seinem aggressiven Bruder ausgenutzt wird, ist geprägt von Gefühlskälte und Gewalt. Als er den Außenseiter Marcel kennenlernt, glaubt er, einen Freund gefunden zu haben.
Ladies Only
Deutschland / Indien
von Rebana Liz John
Perspektive-Talent: Rebana Liz John (Dokumentarfilm-Regie)
Europäische Premiere / Dokumentarische Form
In den Damenabteilen der Nahverkehrszüge in Mumbai berichten Frauen, was sie wütend macht. Ihre Antworten fügen sich zu einem faszinierenden Bildteppich zusammen, der nicht nur ein Porträt der indischen Gesellschaft zeigt, sondern weit darüber hinausweist.
Rondo
Deutschland
von Katharina Rivilis
mit Luise Wolfram, Paul Boche, Lucas Englander
Perspektive-Talent: Luise Wolfram (Schauspiel)
Weltpremiere
Ein Wochenende an der Ostsee mit ihrem neuen Freund Lars wird für Zoé zum Déjà-vu und wirft sie in eine andere Zeit zurück: In ein Wochenende, an dem sie schon einmal an diesem Ort war – mit einem anderen Mann, den sie sehr geliebt hat.
Schweigend steht der Wald (The Silent Forest)
Deutschland
von Saralisa Volm
mit Henriette Confurius, Robert Stadlober, Noah Saavedra, August Zirner, Johanna Bittenbinder
Perspektive-Talent: Daniel Kundrat (Montage)
Weltpremiere
Nach einem Mord im Oberpfälzer Wald sieht die Forstpraktikantin Anja Parallelen zum ungeklärten Tod ihres Vaters vor 20 Jahren. Ihre Nachforschungen rühren an ein dunkles und von allen vehement gehütetes Geheimnis.
Sorry Genosse (Sorry Comrade)
Deutschland
von Vera Brückner
Perspektive-Talent: Fabian Halbig (Produktion)
Weltpremiere / Dokumentarische Form
Um bei seiner großen Liebe Hedi sein zu können, will Karl-Heinz in die DDR übersiedeln. Doch der Druck der Stasi, die ihn instrumentalisieren will, zwingt das Paar zu einer aberwitzigen Flucht über Rumänien, bei der alles schiefgeht, was schiefgehen kann.
Wir könnten genauso gut tot sein (We Might as Well Be Dead)
Deutschland / Rumänien
von Natalia Sinelnikova
mit Ioana Iacob, Pola Geiger, Jörg Schüttauf, Şiir Eloğlu, Moritz Jahn, Susanne Wuest
Perspektive-Talent: Elisabeth Kozerski (Szenenbild)
Weltpremiere / Eröffnungsfilm
Das Hochhaus am Waldrand ist bekannt für seine sorgfältig ausgewählte Hausgemeinschaft. Als ein Hund verschwindet, muss die Sicherheitsbeauftragte Anna gegen die irrationale Angst der Bewohner*innen kämpfen. Die Utopie mit Waldblick gerät schleichend aus den Fugen.
Gast der Perspektive Deutsches Kino: Preisstifter DEFA-Stiftung
Fallada – letztes Kapitel (Fallada – the Last Chapter)
DDR 1988
von Roland Gräf
mit Jörg Gudzuhn, Jutta Wachowiak, Katrin Sass, Corinna Harfouch, Ulrike Krumbiegel, Marga Legal
Presseabteilung
13. Januar 2021