2017 | Berlinale Talents
Eine Frage der Gemeinschaft
„Courage: Against All Odds“: Mit diesem Thema geht Berlinale Talents 2017 in die bereits 15. Runde. Ihr Alter merkt man der Festivalinitiative indes nicht an, unvermindert sucht sie nach Experimentierfeldern, um sich zu erneuern. Im Interview sprechen die Projektleiterin Christine Tröstrum und der Programmleiter Florian Weghorn über eine analoge Virtual-Reality-Performance und den Mut junger Talente in aller Welt.
Berlinale Talents ist zum großen Teil eine öffentliche Veranstaltung. Dabei steht die Interaktion mit dem Publikum im Vordergrund. Worauf dürfen sich die Festivalbesucher in diesem Jahr freuen?
Florian Weghorn: Es geht gleich gut los: Am Sonntagmorgen sprechen Jurypräsident Paul Verhoeven und Jurymitglied Maggie Gyllenhaal über Mut und Hindernisse im Kontext ihrer Filme und einer komplexen Filmindustrie. Fragen aus dem Publikum sind sehr willkommen. Christo wird nachmittags in seine Arbeitsweisen einführen und ist dann eine Stunde für die Fragen der Besucher offen. Er will keine Moderation, sondern dem Publikum die Führung überlassen. Das wird spannend.
Christine Tröstrum: Wir machen noch mehr Platz für Interaktion und wollen die strikte Rollenverteilung zwischen Publikum und Panelteilnehmern mehr und mehr auflösen. Berlinale Talents hat schon immer „against all odds“ neue Formate entwickelt. Die Leitlinien sind dabei immer die Inhalte und die Interessen der Talente und Besucher.
FW: Wer sich etwa fragt, was hinter dem momentanen Hype um Virtual Reality steckt, ist vielleicht von Veranstaltungen anderswo enttäuscht. Man kann dicke Brillen aufsetzen und ansonsten Leuten lauschen, die extrem interessante, aber leider etwas schwer verständliche Dinge sagen. Wir glauben dagegen, dass Grundprinzipien von VR – das Vertrauen in einen viel aktiveren Zuschauer, die offenen Erzählverläufe und so weiter – eigentlich längst in der Performancekunst und im Theater erprobt wurden. Statt also wieder zu talken, haben wir das bekannte Performance-Kollektiv Gob Squad zu Gast, die ihre Methoden praktisch zeigen und dabei auch mit dem Publikum interagieren werden. So schaffen wir spannende Zugänge zu technischen Innovationen.
Gibt es denn gar keine klassischen Talks mehr?
FW: Selbstverständlich kommen aus dem Festivalprogramm wieder viele Filmemacher wie Agnieszka Holland, Gurinder Chadha, Raoul Peck, Andres Veiel, Olafur Eliasson oder Sally Potter zu uns, um auf der Bühne über ihre Filme und Kunst zu sprechen. Und natürlich lieben es auch die Talente, zum Beispiel einer Meryl Streep zuzuhören. Aber eben nicht nur. Dafür schaffen wir neue Räume. Workshops werden Teil des öffentlichen Programms und wir verbinden somit Formate, die früher klar getrennt waren. Am 12. Februar zeigt zum Beispiel Talents-Alumna Ana Lily Amirpour, die mit ihrem Film A Girl Walks Home Alone at Night weltweit großen Erfolg hatte, die Playlist ihrer Inspirationen live auf der Bühne. Uns hat interessiert, was hinter ihren Filmen steckt, aber eben auch wie sie kreativ mit Referenzen zu Pop, Musik und anderen Filmen umgeht. Das wird sich in diesem lockeren, sehr coolen Format hoffentlich zeigen lassen.
Wichtig ist Euch auch immer der Blick hinter die Kulissen des Films, oder?
FW: Wir wollen dem Festivalprogramm keine Konkurrenz machen, sondern inhaltliche Ergänzungen bieten, die in dieser Länge und Tiefe bei den normalen Publikumsgesprächen nicht zur Sprache kommen könnten. Eine andere Besonderheit ist, dass wir alle Filmberufe repräsentieren und nicht nur die Regisseure, Produzenten oder Schauspieler. Etwa beim Panel „Body Experience: Sounds from Inside“. Robert Aiki Aubrey Lowe und Nicolas Becker haben zuletzt den Aliens in Arrival eine Stimme gegeben und die Geräusche für den Science-Fiction-Film gemacht. Der Zuschauer kann also von einer ungewöhnlichen Seite auf einen Film schauen, den er oder sie vielleicht gerade erst im Multiplex gesehen hat. Bei Talents sind alle Gewerke die Stars und der Film immer ein Gesamtkunstwerk.
CT: Mit der Robert Bosch Stiftung feiern wir am 12. Februar 2017 fünf Jahre Filmförderpreis für internationale Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der arabischen Welt. Die Preisverleihung ist ebenfalls öffentlich und zeigt Ausschnitte aus Filmen, die gerade produziert werden. Also Work-in-Progress, auch ein Blick hinter die Kulissen. Zudem erlebt man an dem Abend die Gewinner aus den Bereichen Animations-, Kurz- und Dokumentarfilm. Es hat Mut an verschiedensten Stellen gekostet, diesen Filmpreis aufzubauen. Aber wir haben gemerkt, wie viel Verständigung die Robert Bosch Stiftung geschaffen hat und wie sehr die vielen deutsch-arabischen Teams derweil zusammengewachsen sind.
Mut und Optimismus
„Courage: Against All Odds“ lautet Euer Thema 2017. Mut ist unerlässlich in einer Branche, in der die Gefahr des Scheiterns groß ist. Zahlen sich Mut und Hartnäckigkeit aus?
CT: Ja. Ein Beispiel ist Ahmed Saleh, ein palästinensischer Filmemacher, der sich 2017 bereits zum dritten Mal mit einem Projekt für den Filmpreis der Robert Bosch Stiftung beworben hatte. Zweimal wurde er abgelehnt, und dennoch versucht er es jetzt noch einmal: Das erfordert Mut und natürlich auch Durchhaltevermögen. Er war 2013 als Talent bei uns. Sein Dranbleiben ist allerdings auch schon beim zweiten Versuch belohnt worden, als er den deutschen Produzenten Stefan Gieren kennenlernte. Mit dem gemeinsamen Projekt Ayny - My Second Eye haben sie den Studenten-Oscar gewonnen. Eine schöne Erfolgsgeschichte. Mut fängt im Kleinen an und ist unerlässlich, um Wünsche und Visionen real werden zu lassen. Das ist der Kern von Talents: immer wieder Mut machen!
Ein Slogan auf Euren diesjährigen Plakaten ist „Why Don't You Get a Real Job?”. Sind die Arbeitsverhältnisse im Allgemeinen in den letzten 15 Jahren nicht überwiegend prekär geworden, so dass sich diese Frage kaum noch stellt?
FW: Das ist oft richtig, Filmemacher sind Freiberufler par excellence, mit allen Vor- und Nachteilen. Es ist wichtig, diese Situation zu erkennen und zu hinterfragen, aber die Talente haben ihren Beruf auch selbst gewählt. Also sollten sie auf die Frage „Why Don't You Get a Real Job?“ eine positive Antwort haben. Viele werden sagen: „Der Job gibt mir Freiheiten, mich auszudrücken. Das ist Grund genug, auch das Risiko einzugehen.“ Bei all unserem Enthusiasmus sind Mut und Durchhaltevermögen aber nicht mit einer Währung gleichzusetzen. Wo das Durchbeißen zum Ersatz für eine angemessene Bezahlung wird, lässt sich das einmal tolerieren, aber wir wollen nicht dazu ermutigen, langfristig in prekären Verhältnissen zu arbeiten. Da hilft es dann eher, offen darüber zu sprechen.
CT: „Why Don't You Get a Real Job?“ ist einer der typischen Sätze, die man von der Oma zu hören bekommt. Unsere Alltagssprache ist leider oft sehr negativ geprägt. Berlinale Talents hingegen vermittelt „We believe in you“. Wir stärken das Positive und tragen es in die Welt. Besonders freuen wir uns natürlich, wenn Filme von ehemaligen Talenten bei der Berlinale laufen. In diesem Jahr sind es 93 Filme, an denen sage und schreibe 131 Alumni beteiligt waren. Vier Filme und ein Kurzfilmprogramm zeigen wir in Kooperation mit Panorama, Forum, Generation und Berlinale Shorts mit anschließenden Bühnengesprächen auch im wunderschönen HAU Hebbel am Ufer.
Mit „Against All Odds“ ließe sich der romantische Held assoziieren, der sich gegen alle äußeren Widerstände behauptet. Allerdings scheint mir das System darauf aus, Risiken zu vermeiden und alle möglichen Gefahren auszuschalten, indem etwa Drehbücher immer weiter optimiert werden. Wird Mut auf diese Weise nicht eher ausgeschlossen?
FW: Tragfähige Modelle, um auch innerhalb des „Systems“ täglich mutig zu sein, sind natürlich schnell mal mehr Wunsch als Wirklichkeit. Wir fragen aber in „The Road Not Taken: Funding Courage“ auch Filmförderer nach ihren konkreten Ideen für eine bessere und vor allem langfristigere Förderung von Experimenten und Kunst. An den einsamen romantischen Helden haben wir bislang kein einziges Mal gedacht. Talents praktiziert und beweist das Gegenteil, bringt Menschen zusammen, die gemeinsam „against all odds“ arbeiten. Mut addiert sich!
CT: Seit 2016 haben wir eine Partnerschaft mit Kickstarter. Diese Kooperation war ein wichtiger Schritt, um uns und die Talente auch für alternative Wege der Filmfinanzierung zu begeistern. Der Mut ist belohnt worden. Zwei junge Produzentinnen aus Berlin haben zum Beispiel Bruce LaBruces neuen Film The Misandrists, der 2017 im Panorama läuft, mit Hilfe von Kickstarter co-finanziert. Wir haben mitgefiebert, ob die Summe zustande kommt und es war ein Lernprozess, sowohl für Bruce LaBruce als auch die Produzenten. Ein Filmprojekt muss anders vorgestellt werden als bei klassischen Förderern, und wir sind Kickstarter dankbar für ihre Expertise.
Gemeinschaft
Was motiviert die Talente heutzutage? Der Ruhm allein?
FW: Der Ruhm wird gerne mitgenommen, aber was die Talente motiviert, ist die Gemeinschaft. Das merkt man ab der ersten Sekunde, in der sie hier in Berlin zusammenkommen. Und wenn die Teilnehmer über die Tage herausfinden, dass sie viele Dinge gemeinsam haben, setzt das nochmal unfassbar viel Energie frei. Das haut uns jedes Jahr aus den Socken.
Viele renommierte Akteure im Filmgeschäft betonen, wie wichtig auch negative Erlebnisse für ihre Karriere waren. Ist Scheitern ein notwendiger Teil des Erfolgs?
CT: Scheitern ist Teil unseres Alltags. Manche Dinge gelingen einfach nicht. Und je mehr Erfahrung ich sammle, desto besser und positiver kann ich auch mit dem Scheitern umgehen. Das sind Entwicklungsstufen, die wir durchlaufen. Vielleicht klappt die Filmfinanzierung nicht, okay, dann suche ich einen anderen Weg. Manchmal hilft auch nur eine berufliche Alternative. Viele große und bekannte Regisseure waren nur 15 Jahre aktiv. Filmemachen kann manchmal nur eine Station im Leben sein.
Gibt es auch Situationen im Leben, bei dem aller Mut nichts hilft und man das Scheitern einfach akzeptieren muss?
FW: Wir laden niemanden nach Berlin ein, um ihm das Blaue vom Himmel zu versprechen. Wir geben den Talenten die Möglichkeit, Teil der Talents-Familie zu werden. Wir bleiben in schönen, aber auch in schwierigen Situationen in Kontakt, denn die Gruppe kann immer weiterhelfen. Und hoffentlich ist sie auch ein kleiner „Reality Check“, bei dem man seinen Stand der Dinge überprüft, bevor alles eventuell zum Scheitern führt.
In einer Pressemitteilung sprecht Ihr von filmischen Mutproben über „künstlerische, politische sowie finanzielle Grenzen und Barrieren hinweg“. Welche Barrieren gibt es heute noch?
CT: 2017 haben wir 250 Teilnehmer aus 71 Ländern, das Alumni-Netzwerk besteht aus über 5.000 Talenten aus über 100 Ländern. Die afghanische Filmemacherin Karima Ishchi ist nach Berlinale Talents 2016 in Deutschland geblieben, weil sie in ihrer Heimat überall an Grenzen stieß. Sie durfte gar nichts und jetzt genießt sie eine vergleichsweise große Freiheit in Berlin. Diese Restriktionen in anderen Ländern der Welt muss man immer im Hinterkopf haben. Im Moment wird ja auch bei uns wieder massiv versucht, Grenzen zu ziehen. Unsere Freiheit sollten wir schätzen und pflegen, vor allem auch die des künstlerischen Ausdrucks.