2020 | Berlinale Shorts
Das Körnchen Sand im Getriebe
Anna Henckel-Donnersmarck übernimmt nach Maike Mia Höhne ab 2020 die Leitung der Berlinale Shorts. Im Interview spricht sie darüber, was sich dadurch (nicht) ändert, die Besonderheit der Berlinale, die Stärke des Kurzfilms, Widerständigkeit und das Mitleid mit einer Blume.
Für die Berlinale Shorts beginnt in diesem Jahr ein neues Kapitel, da Du jetzt die Sektionsleitung übernommen hast. Was ändert sich damit?
Für die Berlinale Shorts ändert sich nicht allzu viel, weil ich zwölf Jahre in der Auswahlkommission war und mit dem Profil dieser Sektion gut vertraut bin und es gerne weiter führe. Deshalb hat meine alte Chefin und bisherige Sektionsleiterin mich wohl auch als ihre Nachfolgerin vorgeschlagen.
Gleichzeitig habe ich als Leiterin eine neue Perspektive auf die Shorts bekommen, weil ich meine Zeit nicht nur im dunklen Sichtungszimmer, sondern auch auf anderen Festivals verbracht habe. Mir wurde deutlich, welchen besonderen Stellenwert der Kurzfilm bei der Berlinale genießt. Der Kurzfilm gilt hier als eigenständiger künstlerischer Ausdruck – nicht als Ware, nicht als Visitenkarte, sondern als Kulturgut. Das ist nicht selbstverständlich. Es freut mich sehr, dass wir diese Einstellung fortsetzen können und dass wir ein Publikum haben, das daran Freude hat und für volle Kinosäle sorgt. Es ist fantastisch, für so ein Publikum ein Programm gestalten zu dürfen.
Was macht den Kurzfilm für Dich besonders interessant?
Mich interessiert am Kurzfilm die künstlerische Freiheit. Er kann, aber er muss keiner Erwartungshaltung gerecht werden. Unsere Gesellschaft und unsere Kultur wollen den Zuschauer*innen immer stärker dienen. Das finde ich eher uninteressant. Ich will nicht, dass mich jemand als Kundin wahrnimmt oder mir gefallen will. Ich will die Welt durch die Augen einer Künstlerin oder eines Künstlers sehen und dadurch einen anderen Blick auf die Welt bekommen. Das ist es, was ich an Kultur grundsätzlich interessant finde: dass es Künstler*innen gelingt, mir die Welt begreifbar zu machen, Dinge neu oder vielschichtiger zu sehen und zu verstehen. Der Kurzfilm wird dabei gerne übersehen, er läuft unter dem Radar. Das verschafft Freiräume, die die Künstler*innen zu nutzen wissen.
Das gibt ihm auch eine politische Schlagkraft. Indem er Konventionen durchbrechen kann, hat der Kurzfilm eine viel größere Stärke, Aussagen zu treffen und Dinge zu hinterfragen, wie z.B. in How to Disappear von Robin Klengel, Leonhard Müllner und Michael Stumpf, der über das Hinterfragen der Regeln eines Computerspiels eine komplette Abhandlung über gesellschaftliche Zusammenhänge und Zwänge entwickelt. Hast du da ein Auge drauf, dass die ausgewählten Filme auch einen politischen Hintergrund haben oder ist es komplett offen?
Bei der Auswahl sind wir komplett offen. Ein Film muss einfach gut sein, er muss Berlinale-Wettbewerbsniveau haben und mit erhobenem Haupt über den Roten Teppich gehen können. Diese Qualität exakt zu definieren ist schwierig, aber wir – das heißt das Sichtungsgremium und ich - suchen in erster Linie nach dieser Qualität. Und oft haben die gezeigten Arbeiten einen politischen Ansatz, wobei Themen und Inhalte, wie gesagt, nicht ausschlaggebend sind für die Auswahl. Deshalb lese ich auch keine Synopsen – außer vielleicht im Nachhinein, wenn ich einem Film nicht folgen konnte. Erst wenn die Auswahl auf dem Tisch liegt, merkt man: „Ah, wir haben ziemlich viel zum Thema Tod dieses Jahr - wie immer - aber auch viel Tröstendes.“ So kristallisieren sich dann Themen und Bögen heraus.
Ein Unterschied zu den Vorjahren ist vielleicht die erhöhte Anzahl an Spielfilmen. Das hat sich so aus den Einreichungen ergeben und war nicht von vornherein geplant.
Atkūrimas von Laurynas Bareisa ist so ein klassisch erzählter kurzer Spielfilm, der es schafft, konstant die Spannung zu halten.
Es gibt kein Bild, das man rausschneiden könnte. Jeder Frame ist präzise und hervorragend komponiert, ohne dass das Handwerk sich in den Vordergrund drängt. Atkūrimas zeigt in seinen 13 Minuten auf, wie Machtmissbrauch und Duckmäusertum Hand in Hand gehen. Er bringt auf den Punkt was wir tagtäglich beobachten oder gar selbst erfahren.
Die Herstellung eines Kurzfilms braucht ein kleineres Team und weniger Budget als der Langfilm. Deshalb kann der Kurzfilm flexibler agieren. Und er muss nicht den Sehkonventionen, die wahnsinnig schwer zu brechen sind, entsprechen. Er kann sich immer die Form suchen, die er braucht. Laurence Bonvin z.B. findet in Aletsch Negative eine hervorragende, abstrakte Form, um über das Gletscher-Schmelzen zu sprechen - und sie braucht dazu keine Fakten und Zahlen, weil man das Schmelzen des Gletschers durch die abstrakten Farben und Töne des Films unmittelbar spürt. How to Disappear hingegen macht das Angebot über Krieg und vor allem über Frieden zu sprechen. Wir sprechen sowieso viel zu wenig darüber, wie man Frieden schafft und wie man Frieden erhält. Was heißt es zu desertieren und wie macht man das überhaupt? Welche Konsequenzen hat es? Diese Frage spielt der Film gedanklich anhand eines Computerspiels durch, in dem digitale Soldaten versuchen zu desertieren. Ein Spiel ist Training für Realität. Soldat*innen beispielsweise trainieren militärische Aktionen mit Videospielen. Als Pendant dazu haben wir Veitstanz/Feixtanz gestellt, den wir aus dem Archiv gezaubert haben. Für den Film hat die Regisseurin Gabriele Stötzer 1988, als die Mauer noch stand, ihre Freunde in Erfurt gebeten, sich an Orten ihrer Wahl in Ekstase zu tanzen. Es musste unter freiem Himmel passieren, weil Super-8 viel Licht braucht. Gleichzeitig durfte man in der DDR nur Filme machen, wenn man einem Filmclub angehörte – was sie nicht tat. Also haben sie einfach geschaut, wie weit sie gehen können und auf dem freien Feld, mitten in der Stadt oder in einem Innenhof ihre Tänze vollzogen. Stötzer hat später gemeinsam mit vier Frauen, die sie aus verschiedenen Künstlerinnenkollektiven kannte, die erste Stasi-Zentrale in Deutschland besetzt. Das war in Erfurt, sechs Wochen vor der Berliner Besetzung der Normannenstraße. Sie hat in einem Interview erzählt, dass, im Rückblick, das kollektive Guerilla-Filmemachen wie ein Training für die spätere Besetzung der Behörde war. Kunst als Training für die Realität.
Eine ganz andere Realität erschafft der Film Genius Loci von Adrien Mérigeau, ein Film wie ein Rausch, der einen komplett reinzieht und mitnimmt.
Ja, ein Animationsfilm mit wunderschönen Zeichnungen, die aber auch nicht um ihrer selbst willen glänzen wollen. Sie verschaffen Zugang zur Wahrnehmung eines Teenagers. Was geht in diesem Kopf vor sich? Genius Loci macht deutlich, wie Kunst ein Mittel sein kann, um das Publikum in die Wahrnehmungswelt dieses Mädchens zu versetzen. Die Animation kann visualisieren, was sonst kein Medium sichtbar machen könnte.
Oder eben erlebbar machen könnte.
Genau. Und dazu reichen 16 Minuten. Das Gegenstück zu Genius Loci ist die dokumentarische Beobachtung Huntsville Station von Jamie Meltzer und Chris Filippone. Der Film zeigt die kurzen Momente einiger Menschen an einer Bushaltestelle, die gerade aus langer Haft entlassen wurden und auf den Bus nach Hause warten. Der Film fängt mit ganz einfachen Mitteln Emotionen und Momente einen, die man in einem fiktiven Drehbuch wahrscheinlich vergeblich suchen würde. Das Skizzenhafte erlaubt eine Nähe, ohne dass wir die Protagonisten kennenlernen.
Über dem Programm dieses Jahr steht das Thema Freiheit in doppeldeutiger Auslegung. Ist die Leitung der Shorts, die Du nun übernommen hast eventuell auch mit einer Ambivalenz verknüpft: einerseits mehr Freiheit bei der Auswahl, andererseits neue Pflichten oder Herausforderungen?
„Von der Freiheit, sich die Freiheit zu nehmen“ lautet die Überschrift des Vorworts der Berlinale Shorts-Broschüre. Mich beschäftigt die Frage, wie man sich selbst Freiheit wegnimmt, zum Beispiel durch die Schere im eigenen Kopf oder durch vorauseilenden Gehorsam. Und was passiert, wenn man sich selbst etwas erlaubt indem man sich die Freiheit herausnimmt Dinge so zu gestalten, wie man es für richtig hält. Sich zwischen diesen zwei Formen der Freiheit entscheiden zu können ist auch eine Form von Freiheit, die leider nicht allen gegeben ist. Antworten lassen sich teilweise in den Filmen selbst finden, teilweise in der Art, wie die Filme gemacht sind. Und natürlich in der Auswahl und Zusammenstellung der Filme, was ja meine Aufgabe war.
Freiheit heißt aber auch Verantwortung übernehmen. Ich habe zwar die Aufgabe, das Programm frei zu gestalten, gleichzeitig aber auch die Verantwortung, meine Entscheidungen und unser Auswahlverfahren immer wieder zu hinterfragen. In diesem Prozess ist das Sichtungsgremium natürlich sehr wichtig. Wir sind zu neunt: Wilhelm Faber ist ein Urgestein der Berlinale, ebenso wie Egbert Hörmann, der auch für Panorama Spielfilme sichtet. Sarah Schlüssel hat viele Jahre die Programmkoordination der Berlinale Shorts gemacht und kennt die Sektion in all ihren Facetten. Judith Funke aus Köln und Maria Morata aus Spanien sind beide Kuratorinnen und Filmwissenschaftlerinnen. Simone Späni ist eine schweizer Filmproduzentin, die sich gut in der afrikanischen Filmszene auskennt. Saskia Walker, Alejo Franzetti aus Argentinien und ich sind Filmemacher*innen, wobei Alejos Schwerpunkt auf dem Spielfilm liegt während Saskia sich zwischen Spiel- und Dokumentarfilm bewegt und ich vor allem installativ arbeite und von der Ausbildung her sowohl im Animationsfilm als auch im Dokumentarfilm beheimatet bin. Da treffen sehr unterschiedliche Sichtweisen aufeinander, was oft zu langen aber stets fruchtbaren Diskussionen führt, die sich auch mal über mehrere Sitzungen hinweg ziehen können. Aber auch unser neuer künstlerischer Leiter, Carlo Chatrian, war mir da ein wichtiges Gegenüber. Ich habe ihm alle Filme, die in der engeren Wahl waren, zur Sichtung vorgelegt und wir haben sie dann gemeinsam besprochen. Es war ein sehr schöner und interessanter Prozess sich durch den Gedankenaustausch über die Filme kennenzulernen. Teilweise ticken wir sehr unterschiedlich, aber sein Grundsatz lautete stets: „Lade die Filme ein, die du wichtig findest.“
Wird es Q&As zu den Filmen geben?
Ja, wir haben wie auch schon in den Jahren zuvor immer ein kurzes Q&A direkt nach dem Film. Neu ist „Shorts Take Their Time“ im Zoopalast 3. Die Programme laufen dort in der Wiederholung und wir nehmen uns nach jedem einzelnen Film Zeit in ein ausführlicheres Gespräch zu kommen. Für das Publikum gibt es hier die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Deshalb finden die Veranstaltungen in einem kleinen Kino statt, wo man sich wohlfühlt, sich in die bequemen Sessel zurücklehnen und entspannt in die Welt des jeweiligen Filmes eintauchen kann. Eine weitere Neuerung: Am Berlinale Publikumstag sind die „Shorts Docs“ zu sehen, also alle unsere dokumentarischen Formen in einem Block. Auch die Animationsfilme sind dann an einem Stück zu sehen. Am Abend zeigen wir die Gewinnerfilme der Berlinale Shorts 2020 und um 16 Uhr den sektionsübergreifenden „Queer-Mix“ mit Kurzfilmen, die LGBTQI*-Inhalte haben. Das heißt am Publikumssonntag hat man die Chance die Filme nach Thema oder Genre sortiert zu sehen.
Du meintest ja, es wurde kein Augenmerk auf Thema oder Inhalt gelegt.
Nicht in der Vorauswahl, dann aber in der dramaturgischen Zusammenstellung der fünf Wettbewerbsprogramme. Eine Dramaturgie für 24 Filme zu finden, die in Blöcke à maximal 90 Minuten passen, ist eine Kunst für sich. Das Ziel ist es, dass sich die Arbeiten gut ergänzen und in Dialog miteinander treten.
Wie habt ihr die drei Hauptstills ausgewählt?
Mir liegt natürlich jeder einzelne Film total am Herzen. Und wenn meine Freund*innen mich fragen, in welches Programm sie gehen sollen, kann ich nur sagen: in alle! Sich dann auf drei Filmstills zu reduzieren, ist keine leichte Aufgabe. Wir haben versucht die drei Bilder zu finden, die die Bandbreite und Experimentierfreude der Berlinale Shorts am besten wiedergeben.
Experimentierfreude wie z.B. bei 2008 von Blake Williams, den man in 3D sehen muss?
Ja. Für den Film braucht man eine 3D-Brille. 2008 wirkt auf eine seltsame Art lange nach. Er entfaltet seine Magie, braucht aber etwas Zeit dafür. Ich finde es wunderbar, dass ein abstrakter Experimentalfilm verlangt, dass sich das ganze Kino diese furchtbaren Brillen aufsetzt. Und dann fliegt den Zuschauer*innen nicht ein Raumschiff um die Ohren, sondern sie sehen eine abstrakte Struktur die eine eigene Dynamik entwickelt. Das ist zunächst verunsichernd. Blake Williams nutzt die ganz große Geste der gewichtigen Illusionsmaschine Kino, um einen kleinen Experimentalfilm aus Strukturen zu machen, die wiederum von einem alten Röhrenfernseher abgefilmt wurden. Das ist betörend und hat gleichzeitig etwas Widerspenstiges.
Und vielleicht auch etwas Subversives. Das zeigt sich auch in den Filmen, die sich mit dem Thema Tod befassen, aber das auf so eine warme Weise tun. In Playback. Ensayo de una despedida von Agustina Comedi wird einer Person nach ihrem Tod das Recht auf einen würdevollen Abgang gegeben. Das ist etwas unglaublich Schönes im Angesicht einer tragischen Situation. Auch sich den äußeren Umständen nicht zu ergeben, was sich z.B. bei Girl and Body von Charlotte Mars zeigt. Hier gibt es ein Auflehnen. Diese Filme rütteln einen wach.
Es ist schön, dass du das sagst. Dieses Widerborstige, dieses kleine Körnchen Sand im Getriebe ist ein Thema, das sich wirklich durch das Programm zieht. Auch wenn es kein Kriterium für die Auswahl war. In Filipiñana von Rafael Manuel legt sich eine der Angestellten ständig in die verborgenen Ecken eines Golfplatzes und versucht zu verschwinden. Vom Verschwinden handelt auch Gumnaam Din von Ekta Mittal aus Indien. Der Film ist sehr poetisch, sehr ruhig. Man muss sich auf ihn einlassen, um die Story herauszukristallisieren und sich davon mittragen zu lassen. Es geht um Menschen, die in die Fremde gegangen sind, um Arbeit zu finden. Deren Spur hat sich verloren, vielleicht wollen sie auch gar nicht gefunden werden. Die Regisseurin hat eine sehr eigenwillige Filmsprache. Es ist schwer zu entscheiden, ob der Film fiktiv oder dokumentarisch ist. Irgendwo dazwischen. Und eigentlich ist es auch egal, denn es geht darum, dieses Gefühl vom Verschwinden einzufangen – auf beiden Seiten: bei jenen, die suchen, und jenen, die gegangen sind. In So We Live von Rand Abou Fakher weiß die Familie nicht, ob der Sohn und Bruder noch lebt oder bereits im Krieg gefallen ist, der draußen, hinter den abgedunkelten Fenstern, tobt. Die Kamera bewegt sich gnadenlos immer wieder um die eigene Achse, ohne Schnitt. Als ob in dieser leeren Mitte der tote junge Mann stehen würde.
Inflorescence von Nicolaas Schmidt ist auch sehr widerspenstig auf seine Weise…
Es kann sein, dass mir der Film noch um die Ohren fliegt. Aber dann mit Wonne, denn er berührt mich auf einen Weise, die ich nicht in Worte fassen kann. Er ist extrem tröstend, auch wenn die Stimmung bedrohlich ist. Der Film selbst lässt offen, wofür die Rose mit der kleinen Deutschlandflagge im Hintergrund steht. Aber für mich ganz persönlich fängt Inflorescence mein aktuelles Lebensgefühl ein, ein Gefühl von „Wir müssen jetzt zusammenstehen und schauen, dass der Rechtsstaat und die Demokratie nicht von dieser drohenden Gewitterfront zermalmt wird“.
Das Bild prägt sich schon sehr ein - allein, weil man gezwungen ist es sehr, sehr lange anzugucken und sich das Lied, was dazu gespielt wird, in Endlosschleife anzuhören.
Das ist die Kraft des Kinos: Als Zuschauer*in fühle ich mit einer Rose mit, die vom Wind gebeutelt wird. Dass Film auf diese Weise Gefühle manipulieren kann - dass man mit einer Pflanze leidet - ist wundervoll. Jedes Mal.
Ein weiteres Motiv, das sich durch das Programm zieht, ist das Verschwinden und der Trost. Diese Momente der Handreichung. T von Keisha Rae Witherspoon beginnt wie ein YouTube-Video und landet auf einem Planeten, auf dem ich noch nie war. Der Film hat seine eigene Sprache, seinen eigenen Kosmos, seine eigene Ernsthaftigkeit, Unverschämtheit und Rotzigkeit. Es fasziniert mich, wie in T und genauso wie in Playback. Ensayo de una despedida das Performative zum Trostspender wird. Wie die Trauer in eine Bühnenperformance verwandelt wird. Und wie diese Performance eine Gemeinschaft formiert, in der man nicht mehr allein ist mit seiner Trauer.
Marianne Métiviers Celle qui porte la pluie macht auch etwas, was Kino besonders gut kann: mit Bildern zu erzählen. Der Film behauptet einfach, dass die Trauer dieser jungen Frau, der Protagonistin des Films, als riesiges Schwein im Wohnzimmer liegt. Man akzeptiert das, weil es stimmig ist und das Gefühl einer jungen Frau in einer sehr schwierigen Phase ihres Lebens auf den Punkt bringt. Oder die Szene mit der Frau in der Hütte: man weiß nicht, wer sie ist, aber sie taucht einfach im richtigen Moment auf um das Richtige zu sagen. Mehr muss ich über diese Frau nicht wissen. Sich diese Freiheit zu nehmen, nicht alles logisch zu erklären ist, was diese Filme so eigen und so wunderbar macht.
Auf einer Party meinte neulich jemand zu mir, dass für ihn Kunst die Aufgabe hat „to disturb the comfortable and comfort the disturbed“, also die Bequemen zu verstören und die Verstörten zu trösten. Ich habe noch nicht rausgefunden, von wem dieses Zitat im Original stammt. Aber es fasst das Programm der Berlinale Shorts sehr schön zusammen. Und damit hätten wir doch ein gutes ein Schlusswort.
Anna Henckel-Donnersmarck übernimmt nach Maike Mia Höhne ab 2020 die Leitung der Berlinale Shorts. Im Interview spricht sie darüber, was sich dadurch (nicht) ändert, die Besonderheit der Berlinale, die Stärke des Kurzfilms, Widerständigkeit und das Mitleid mit einer Blume.