2015 | Forum Expanded
Unverbrauchte Möglichkeiten
In diesem Jahr feierte das Forum Expanded sein zehnjähriges Jubiläum. Im Interview sprechen die Sektionsleiterin Stefanie Schulte Strathaus und ihr Mitkurator Uli Ziemons über den runden Geburtstag, die Möglichkeiten geschlossener Türen und die Selfie-Kultur.
Der Titel Eures Programms 2015 lautet „To the Sound of the Closing Door“. Ihr stellt die These auf, dass das Schließen einer Tür nicht zwangsläufig das Ende einer Möglichkeit bedeuten muss. Die Retrospektive widmet sich in diesem Jahr Technicolor, einem Farbfilmverfahren, das in den 1960er Jahren obsolet wurde. Gleichzeitig lebt es in der Liebe eines der Säulenheiligen des Forum Expanded, Jack Smith, und seiner Verehrung für den Technicolor-B-Film-Star Maria Montez später wieder auf. Drückt das Verhältnis von Jack Smith über Maria Montez zu Technicolor in etwa das aus, was ihr mit „To the Sound of the Closing Door“ meint?
SSS: Das ist durchaus eine Lesart. Narrative stellen immer nur eine Möglichkeit dar. Es geht ganz sicher nicht darum, Vergangenheit zu verklären, sondern vielmehr um die unbekannten Möglichkeiten, die darin verborgen liegen, und um die Gegenwelten, die beim Durchschreiten oder Schließen einer Tür entstanden. Zum Beispiel Jack Smiths Liebe zu Technicolor: Er schuf darin zeitversetzt eine sehr reale Parallelwelt, in der Maria Montez die Technicolor-Muse war (und er hätte wahrscheinlich nicht damit gerechnet, dass er damit später einmal so groß in der Kunstwelt gefeiert würde).
Wie seid Ihr auf den Titel des Programms gekommen?
UZ: Anselm Franke erinnerte sich an ein Zitat von Jean-Luc Godard, mit dem wir gearbeitet haben, von dem wir aber längere Zeit nicht wussten, ob er es wirklich gesagt hat. Inzwischen hat sich herausgestellt: Er hat es wirklich gesagt, in Bezug auf die Nouvelle Vague: „What we thought was the opening of new opportunities, turned out to be the sound of a door, closing forever”.
Welchen zugeschlagenen Türen spürt Ihr im Programm nach?
SSS: Ein Beispiel: In letzter Zeit gibt es einige Archiv-Projekte, an denen wir beteiligt sind. So gab es in Ägypten in den 1960er und 70er Jahren Filme, die die Idee eines unabhängigen, experimentellen Kinos haben aufflackern lassen - aber dazu kam es nicht wirklich, denn die Dinge verliefen anders. Wenn man ein solches Fundstück heute sieht, wirkt es wie ein Versprechen aus der Vergangenheit. Das Schließen einer Tür kann nachhallen und das Narrativ, mit dem man die ganzen letzten Jahre gelebt hat, auf den Prüfstand stellen – dann erzählen Bilder der Vergangenheit möglicherweise eine neue Gegenwart. Nicht eine neue Interpretation der Gegenwart, sondern wirklich eine neue Gegenwart. Der Beginn der Revolution hat viele Hoffnungen und Utopien ausgelöst. Wo kamen sie her und wo sind sie hingegangen? Was ist in diesem Moment eigentlich passiert? Jenseits von Linearität und Kausalzusammenhängen gibt es einen großen Raum an möglichen Narrativen und Perspektiven. Wir blicken auf Momente, in denen neue historische Narrative, neue ästhetische Konzepte, neue Bilder entstanden, häufig ausgelöst durch sehr reale Erfahrungen in der Welt.
Wie wird das Schließen der Tür in den Werken umgesetzt?
UZ:. Es gibt einige Werke, in denen sich das Thema der Tür ganz konkret findet. Zum Beispiel in der Installation Beauty and the Right to the Ugly von Wendelin van Oldenborgh, die sich mit einem Gemeindezentrum in Eindhoven beschäftigt. Es entstand in den 1970er Jahren aus dem Wunsch heraus, die Bürgerbeteiligung zu stärken. Eine große Halle wurde gebaut und alle Funktionen, die in diesem Gemeindezentrum abgedeckt werden sollten, fanden im selben Raum Platz. Es gab keine Wände und keine Türen innerhalb des Gebäudes. Die wurden jedoch später relativ schnell eingezogen, weil der Raum so nicht funktionierte. In Oldenborghs Video-Arbeit bewerten die Beteiligten das Projekt nachträglich und fragen, was da eigentlich passiert ist, welche Dinge funktioniert haben und welche nicht.
SSS: Wir haben auch Beispiele wie Dear John von Hans Scheugl, der seine private Biographie thematisiert: Was wäre, wenn ich damals durch die andere Tür und mit meinem Lover nach Amerika gegangen wäre, statt in Österreich zu bleiben? Ho Tzu Nyen wiederum spinnt in The Nameless eine Geschichte voller Doppel- und Mehrdeutigkeiten um einen Dreifachagenten in Südostasien. Die Arbeiten produzieren Parallelwelten, Gegenerzählungen, und – um in der Sprache des Kinos zu bleiben – Rück- und Mehrfachprojektionen.
Auch Inszenierungen und Performances werden zunehmend als dokumentarische Strategie genutzt. Der ägyptische Film Barra Fel Share’ (Out on the Street) von Jasmin Metwaly und Philip Rick besteht aus Szenen, in denen Arbeiter in einem Theaterworkshop die Folgen der Privatisierung ihrer Fabrik nachspielen – Korruption, Polizeigewalt und Widerstand verbunden mit Handyaufnahmen, die heimlich in der Fabrik gedreht wurden. In Nicolas Cilins Gineva spielen rumänische Flüchtlinge in der Schweiz vor einem Bluescreen ihre eigene Situation nach, und in Felipe Braganças Escape from my eyes sind es drei Flüchtlinge aus Ghana, Mali und Burkina Faso, die im Protestcamp auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg gelebt haben und ihre Geschichten vor der Kamera inszenieren. Ich spiele, ich wäre das, was ich bin: Ich setze mich selber in den Konjunktiv und schaffe dadurch Möglichkeitsräume.
Innerhalb der Arbeiten fallen die vielen Überblendungen und Spiegelungen auf, die Bildräume sind extrem komplex gewebt, die Bilder und Situation wandern zwischen den Medien und zwischen den Zeiten…
SSS: Es werden viele mediale Oberflächen, u.a. Archivmaterial genutzt, das ist richtig und hat mit unserem Thema zu tun, das versucht, Geschichte non-linear zu denken – was wir auch zunehmend müssen. Die Auseinandersetzung mit eigener und fremder Geschichte wird vor allem in Krisenmomenten wichtig. Das drückt sich tatsächlich in vielen Arbeiten als Rückprojektion, Perspektivenvielfalt, durch Verschachtelungen oder auch in Text- Bild-Collagen aus.
Wie fühlt Ihr Euch damit, dass die Akademie der Künste mehr oder weniger Euer Heim wird?
SSS: Großartig. Die Akademie der Künste war ja bis 1999 ein wichtiger Spielort des Forums, für Viele war es während der Berlinale das Zuhause. Ich freue mich, dass wir zum ersten Mal die Ausstellung, das Kino und die Diskussionen unter einem Dach haben. Der Zusammenhang zwischen den Formaten lässt sich so einfacher vermitteln - und auch der fließende Übergang zwischen Forum und Forum Expanded. Denn auch ausgewählte Filme aus dem Forums-Programm sind in der Akademie zu sehen.
2013 fand die Ausstellung in einem ehemaligen Krematorium statt, 2014 in einer Kirche. Es scheint, als würdet Ihr in diesem Jahr Euren Bezug zum Jenseits verlieren…
SSS: Jenseits von was? Wir haben sehr viele unterschiedliche Orte ausprobiert, Museen, Galerien, Studios und eben auch ein ehemaliges Krematorium und eine Kirche. Jeder Ort hat seine eigenen Herausforderungen. Das ist Teil von Forum Expanded, neue Räume mit neuen Arbeiten in Verbindung zu bringen.
Natürlich müssen wir noch über das zehnjährige Jubiläum des Forum Expanded sprechen. Wie hat sich die mediale Landschaft seit 2006 verändert?
SSS: Seit 2006 hat sich eine Menge verändert. Unsere erste Forum Expanded-Eröffnung 2006 im KW – Institute for Contemporary Art war gleich sehr gut besucht, aber irgendetwas irritierte mich. Ich kannte das KW gut, aber etwas war anders. Es war die Tatsache, dass es mehr mit Film- als mit Kunstpublikum gefüllt war, das war einfach ein ungewohnter Anblick. Inzwischen würde ich sagen, dass man unserem Publikum eine solche Unterscheidung nicht mehr anmerkt. Wir haben viele Diskussionen um das Verhältnis von Kunst und Kino hinter uns gelassen, weil das Publikum von beiden Seiten sehr viel offener geworden ist. Wichtig war uns immer der Versuch, die Form der Rezeption jeder einzelnen Arbeit als ihren Bestandteil anzusehen. Dazu gehört beispielsweise die Länge einer Arbeit: Wenn eine Installation 60 Minuten dauert, wird das heute akzeptiert, die Ausstellungsbesucher nehmen sich die Zeit, wenn sie interessiert sind. Auch die Filme, die wir im Kino zeigen, erhalten den zeitlichen Rahmen, den sie brauchen, das kann auch mal bedeuten, dass ein Programm aus nur 30 Minuten besteht, aber dafür kann der einzige Film darin atmen. Allerdings gibt es für das, was im Bereich des Bewegtbilds zwischen Bildender Kunst und Kino, oder auch ungeachtet dieser Kategorien, mittlerweile produziert wird, noch immer keine wirklich brauchbaren Begriffe, keine eigene Sprache.
Was gut ist, glaube ich.
SSS: Es schafft in der Tat einen Freiraum. Uns kam es deshalb auch darauf an, eine Form zu finden, die das aushält. Es kann sehr befreiend sein, auf Kategorien zu verzichten, Zuordnungen durch Begrifflichkeiten zu vermeiden. Was nicht heißt, dass wir nicht über das sprechen, was wir zeigen, im Gegenteil, wir legen viel Wert auf Diskussionen, um eine Sprache dafür zu finden. „Wie soll man das nennen, was ich vermisse?“ ist der Titel eines Textes von Harun Farocki. Antje Ehmann und Jan Ralske haben ihre Installation danach benannt, in der es mit Bezugnahme auf seine Idee eines Bildarchivs filmischer Topoi um das Motiv der Tür in seinem Werk geht. Damit ist ihre Arbeit gleich zweifach der Grundidee von Forum Expanded sehr verwandt.
Hat die heutige Selfie-Kultur die frühere Avantgarde in den Mainstream gebracht? Den eigenen, nackten Körper als politisches Statement zu inszenieren taucht innerhalb der Filmgeschichte, vor allem der des Experimentalfilms, ja immer wieder auf…
SSS: Es gab durchaus mal eine Dringlichkeit, den eigenen Körper als politischen Körper auf die Leinwand zu bringen und sprechen zu lassen. Mit der Selfie-Kultur hat das meines Erachtens wenig zu tun, denn da geht es mehr um Gleichschaltung als um Sichtbarmachung. Die Filme, die uns heute interessieren, erreichen ihre Singularität durch ihre ästhetischen Entscheidungen, durch das „wie“. Auch, oder gerade dann, wenn es eine Dringlichkeit gibt, etwas sichtbar zu machen.