Forum & Forum Expanded
Forum und Forum Expanded stehen für Reflexion des filmischen Mediums, gesellschaftlich-künstlerischen Diskurs und ästhetischen Eigensinn.
Die Programme von Forum und Forum Expanded zielen darauf ab, das Verständnis von Kino zu erweitern, an die Ränder des Gewohnten zu gehen und Perspektiven zu eröffnen, mit denen das Kino neu zu begreifen und in Bezug zur Welt zu setzen ist. Einbezogen wird alles, was dazu beiträgt: zeitgenössischer und historischer, analoger und digitaler Film, Installationskunst, Performance und Musik.
Forum und Forum Expanded sind vom Arsenal – Institut für Film und Videokunst kuratierte und organisierte unabhängige Programme im Rahmen der Berlinale.
Was ins Programm passt, definiert sich durch die Haltung der Filmemacher*innen zu ihrem Medium und nicht durch die Frage nach der Kommerzialität oder Verwertbarkeit von Film. Die filmische Form tritt nie hinter den Inhalt zurück. Beide Auswahlkomitees verstehen ihre Auswahl als Labor, als Werkstatt.
Während sich das im Allgemeinen circa 40 Filme umfassende Hauptprogramm des Forums auf zeitgenössische internationale Kinoproduktionen konzentriert und auf herkömmliche Unterscheidungen wie die zwischen Spiel- und Dokumentarfilm verzichtet, bietet Forum Expanded mit üblicherweise circa 30 Kurz- und Langfilmen, einer Gruppenausstellung, Bühnen- und Diskussionsveranstaltungen eine offene Plattform für filmische Formate aus einem erweiterten Umfeld, das bildende Kunst, Theater, Performance, Musik und Medien einbezieht. In enger Verbindung mit Impulsen aus Politik und Gesellschaft schaffen sie einen international geprägten Diskursrahmen, der das Potenzial hat, das Kino neu zu begreifen und nachhaltig zu verändern.
Die enge Verzahnung mit dem Arsenal, dessen ganzjährigem Kinobetrieb, Verleih und dem institutionseigenen Archiv (Living Archive) ist ein wesentliches Merkmal von Forum und Forum Expanded. Die kuratorische Arbeit des Arsenal gibt dem Festival inhaltliche Impulse, umgekehrt lässt sich das Festivalprogramm in der Kinoarbeit vertiefen und erweitern. Das tägliche Kinoprogramm des Arsenal mit zahlreichen Gästen erlaubt Kooperationen in allen Bereichen der Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft. Die Übernahme einiger Festivalfilme in den Verleih des Arsenal ermöglicht eine langfristige Zusammenarbeit mit Filmemacher*innen und Künstler*innen. Ausgewählte Digitalisierungs- und Restaurierungsprojekte werden durch Präsentationen im Forum und Forum Expanded zum Gegenwartskino in Bezug gesetzt.
Die hitzigen Publikumsgespräche, für die das Forum in seinen frühen Jahren bekannt war, als es „zwischen Barrikade und Elfenbeinturm“ stand, wie ein Buchtitel zum 30. Geburtstag es ausdrückte, prägen die im Forum und Forum Expanded gepflegte Kinokultur und Filmvermittlung nach wie vor. Filmemacher*innen und Kurator*innen diskutieren nach allen Vorführungen eingehend mit dem Publikum. Im Werkstattkino im silent green Kulturquartier, wo das gesamte Programm von Forum Expanded sowie ein Auswahlprogramm des Forums präsentiert werden, finden im Anschluss an die Vorführungen Gespräche mit den Beteiligten sowie weiteren Gästen statt, die über die Einzelwerke hinausweisen und Verbindungen herstellen.
Seit seiner Gründung im Jahr 1971 gibt das Forum ausführliches Begleitmaterial zu den Filmen des Programms heraus. Die in frühen Jahren lose veröffentlichten „Forumsblätter“ sind legendär. Heute werden diese Texte auf der Website des Kino Arsenal veröffentlicht, wo auch PDF-Versionen sämtlicher Jahrgänge archiviert sind.
Darüber hinaus veröffentlichen Forum und Forum Expanded eine umfassende Broschüre, die neben Informationen zu allen Filmen und Arbeiten im Programm weiterführende Texte und Hintergrundinformationen enthält. Das Format der Textbeiträge ist so heterogen wie das Filmprogramm: Neben Essays finden sich Analysen, Poetisches, Zeichnungen und Kommentare.
Im August 2023 übernahm Barbara Wurm die Leitung der Sektion. Ulrich Ziemons leitet seit September 2021 das Forum Expanded (bis 2024 gemeinsam mit Ala Younis).
Karina Griffith
Shai Heredia
1971 fand das erste Internationale Forum des Jungen Films als Reaktion auf die politischen Turbulenzen der Vorjahre, die 1970 zum Abbruch der Berlinale geführt hatten, statt. Organisiert wurde es von den Freunden der Deutschen Kinemathek e.V. (heute: Arsenal – Institut für Film und Videokunst) um Ulrich und Erika Gregor, die das Forum bis zum Jahr 2001 leiteten und maßgeblich prägten.
Bereits 1969 und 1970 hatten die Freunde in Eigenregie eine Parallelveranstaltung zur Berlinale veranstaltet. Nun erhielten sie das offizielle Angebot, ein unabhängiges, gleichberechtigtes Festivalprogramm zu verantworten. Das Internationale Forum des jungen Films forderte sein Publikum heraus, zeigte bisher unbekannte oder unterrepräsentierte Kinematografien und dokumentierte, wie es Ulrich Gregor einmal formulierte, „die Vielseitigkeit und Vielschichtigkeit neuer Filmstile zwischen Avantgardefilm, erzählendem Film und Dokumentarfilm“.
Seitdem hat das Forum Filmgeschichte geschrieben. Zahlreiche Regisseur*innen, die später große internationale Anerkennung erlangten, erhielten hier mit ihren Debütfilmen erstmals eine Plattform. Jacques Rivette, Chantal Akerman, Theo Angelopoulos, Jim Jarmusch, Béla Tarr, Aki Kaurismäki, Ken Loach, Nagisa Oshima, Yilmaz Güney, Atom Egoyan, Michael Snow, Manoel de Oliveira, Yvonne Rainer, Andrej Tarkowskij, Derek Jarman, Raúl Ruiz, Ousmane Sembène, Wong Kar-wai, Helke Sander, Margarethe von Trotta, Peter Greenaway, Avi Mograbi, Claire Denis, Ulrike Ottinger, die Brüder Dardenne u.v.a.m. waren mit frühen Arbeiten im Forum vertreten.
Mit dem Forum hielt eine diskursive Kinokultur Einzug in die Berlinale, die eher von intensiven Publikumsgesprächen und ausführlichen Begleitpublikationen geprägt war als von Glamour und rotem Teppich. Zur Präsentation der Filme im Forum gehörte von Beginn an auch die Untertitelung von Filmkopien, die nach dem Festival häufig im Arsenal verblieben und in den dortigen Verleih kamen. Daraus ist ein lebendiges Archiv mit 10.000 Filmen aus aller Welt entstanden, das den Umgang mit Filmgeschichte neu definiert.
2000 zogen die Freunde mit der Berlinale an den Potsdamer Platz. 2002 übernahm der Filmkritiker Christoph Terhechte, unterstützt von Anna Hoffmann, die Leitung des Forums. Er konzentrierte die Auswahl, erhielt dem Programm die Risikofreude und gab der Sektion in einer sich stark verändernden Festivallandschaft immer wieder neue Impulse.
Mittlerweile haben sich die Namen geändert: Aus den Freunden wurde 2008 das Arsenal – Institut für Film und Videokunst, das seit 2004 von Milena Gregor, Birgit Kohler und Stefanie Schulte Strathaus geleitet wird und aus dem Internationalen Forum des jungen Films schlicht das Forum. Das 1970 in Schöneberg eröffnete Kino Arsenal befindet sich seit 2000 am Potsdamer Platz. Die enge Verzahnung der Arbeit von Kino- und Festivalbetrieb sowie einem daraus hervor gegangenen Filmarchiv, ist bis heute das wesentliche Merkmal sowohl der Institution Arsenal wie der Sektion Forum und Forum Expanded.
Die Nullerjahre waren geprägt von einer Expansion bewegter Bilder in den öffentlichen Raum hinein. Durch Digitalisierung, Handykameras, Verbreitung im Internet, aber auch durch die Etablierung des Mediums Film innerhalb anderer Künste öffneten sich die Grenzen des Kinos. Impulse für neue Erzählformate sowie dokumentarische Formen und Strategien kamen verstärkt auch aus der bildenden Kunst, der Performance, der Musik, dem politischen Aktivismus und der Wissenschaft. Um solche Ansätze zur Erneuerung des Kinobegriffs und zur Weiterentwicklung des Mediums Film einbeziehen zu können, gründeten Stefanie Schulte Strathaus und Anselm Franke 2006 das Forum Expanded als Erweiterung des Forums. Die gemeinsame Idee beider Programme ist bis heute, Arbeiten einzuladen, die das Selbstverständnis einer Institution herausfordern. Denn alles, was gesellschaftlich, politisch, kulturell oder künstlerisch in der Welt geschieht, hat das Potenzial, das Festival und sein Publikum nachhaltig in Bewegung zu bringen.
Nach dem Weggang von Christoph Terhechte im Sommer 2018 übernahm der Vorstand des Arsenal – Institut für Film und Videokunst, bestehend aus Milena Gregor, Birgit Kohler und Stefanie Schulte Strathaus, unterstützt von Anna Hoffmann, die Interimsleitung und war für das Forum-Programm 2019 verantwortlich. Von 2019 bis 2023 stand Cristina Nord, Kuratorin und Filmkritikerin, an der Spitze der Sektion. Seit August 2023 leitet Barbara Wurm die Sektion.
Von Beginn an hat das Forum sein Augenmerk stets auch auf historische Filme gelegt und sie in Beziehung zum Gegenwartskino gesetzt. Ging es in den Anfangsjahren vor allem darum, das Berliner Publikum mit einem richtungsweisenden Weltkino vertraut zu machen, zu dem ihm bis dahin der Zugang fehlte, so rüttelt das Forum auch heute noch an einem filmischen Kanon, der sein Hauptinteresse auf in Westeuropa und Nordamerika entstandene Spielfilme richtet. In Opposition dazu widmen sich Forum und Forum Expanded z.B. dem Kino afrikanischer und asiatischer Länder, dem Dokumentar- und Experimentalfilm, dem Anti-Kino-Film sowie dem anrüchigen B-Movie und „Schmuddelkino“. Die Auffassung von Filmgeschichte ist dabei nicht statisch, sie schließt stets auch die Kritik früherer Rezeption ein und arbeitet der eurozentrischen Perspektive entgegen. Zugleich legen Forum und Forum Expanded Wert auf den Bezug von historischen zu aktuellen Programmbeiträgen, die stets in einen ästhetischen und inhaltlichen Zusammenhang gesetzt werden.
Viele Filme aus den Programmen von Forum und Forum Expanded werden untertitelt. Sie können nach dem Festival in Berlin verbleiben und gegebenenfalls in den Verleih kommen. Über die Dauer des Festivals hinaus finden sie so den Weg in die nichtkommerzielle Kinolandschaft sowie zu anderen Festivals, Biennalen und Ausstellungen weltweit. Langfristig werden sie in das Living Archive des Arsenal aufgenommen.
Im grundlegenden Ansatz, ein Archiv als Ort der Partizipation und Produktion zu betrachten, in diesem Zusammenhang filmische Unikate aufzuspüren, zu sichern, zu digitalisieren und stets im Bezug zur künstlerischen und kuratorischen Praxis der Gegenwart zugänglich zu machen, unterscheidet sich das Archivkonzept des Arsenal grundlegend von anderen Filmarchiven.
Das Living Archive hat sein Zuhause im silent green Kulturquartier in Berlin-Wedding. Hier können Interessierte, Forschende, Künstler*innen und Kurator*innen die Filme an Schneidetischen sichten. Nicht selten dient ihr mitgebrachtes Wissen als wertvolle Ressource für die Arbeit im Arsenal. Jede*r Nutzer*in des Archivs ist ein*e potentielle*r Archivar*in.
Im Forum werden keine offiziellen Preise vergeben. In den Anfangsjahren der Sektion stand dahinter die explizite Absicht, sich vom kompetitiven Charakter des Wettbewerbs abzugrenzen. Es werden jedoch auch im Forum sektionsübergreifende Preise bzw. Preise unabhängiger Jurys vergeben:
- Caligari-Filmpreis: Die vom „Bundesverband kommunale Filmarbeit“ und der Zeitschrift „film-dienst“ gestifteten 4.000 Euro gehen zur einen Hälfte an den Regisseur zur anderen an den Verleih eines Forum-Films.
- Preis der FIPRESCI Jury: Vergeben für den Besten Film des Forums vom internationalen Verband der Filmkritik „Fédération Internationale de la Presse Cinématographique“.
- Preis der Ökumenischen Jury: Geehrt wird ein Filmschaffender, der in seinem Film ein menschliches Verhalten oder Zeugnis zum Ausdruck bringt, das mit dem Evangelium in Einklang steht, oder es schafft, die Zuschauer für spirituelle, menschliche und soziale Werte zu sensibilisieren.
- Berlinale Dokumentarfilmpreis
- CICAE Art Cinema Award: Für die Confédération Internationale des Cinémas D’Art et Essai (C.I.C.A.E.), den Internationalen Verband der Filmkunsttheater, sind zwei Jurys auf der Berlinale tätig: eine vergibt einen Preis an einen Film des Panoramas, eine kürt einen Film des Forums.
- TEDDY AWARDS: Der TEDDY AWARD, der bedeutendste queere Filmpreis der Welt. Der Preis wird im Rahmen der Berlinale in den Kategorien bester Spielfilm, bester Dokumentar-/Essayfilm und bester Kurzfilm sowie als Special Jury Award vergeben. Filme aus allen Sektionen der Internationalen Filmfestspiele Berlin konkurrieren jedes Jahr um die TEDDY AWARDS.
- Heiner-Carow-Preis: Der Heiner-Carow-Preis wird zur Förderung der deutschen Filmkunst an einen Langfilm aus den Sektionen Wettbewerb, Berlinale Special, Panorama, Forum, Forum Expanded oder Generation vergeben, der im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele Berlin seine Weltpremiere feiert. Der mit 5.000 Euro dotierte Preis wird von der DEFA-Stiftung ausgelobt. Er wird für einen ersten oder zweiten, majoritär deutschen Dokumentar- oder Spielfilm, an eine*n Filmemacher*in, der*die gegenwärtig in Deutschland ansässig und tätig ist, vergeben. Die jährlich wechselnde dreiköpfige Jury wird vom Künstlerischen Leiter der Berlinale und der DEFA-Stiftung bestimmt.
- Friedensfilmpreis: Die Jury sichtet Filme aus allen Sektionen. Der Hauptpreis wird von der „Initiative Friedensfilmpreis“ in Verbindung mit den „Ärzten zur Verhütung des Atomkriegs“ (IPPNW) und der Heinrich-Böll-Stiftung gestiftet. Darüber hinaus kann die Friedensfilmpreis-Jury lobende Erwähnungen aussprechen.
- Amnesty International Filmpreis: Der sektionsübergreifende Preis wird an Filme verliehen, die sich in besonderem Maße mit Menschenrechtsthematiken beschäftigen und ist mit 5.000 Euro dotiert.